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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 427<br />

117. Eine Nachricht wie ein Blitzschlag, die Abdankung des Königs<br />

Mit schweren Herzen brachten wir auch die Weihnachtsfeiertage hinter<br />

uns. Es war das sechste Fest, dass wir in Gefangenschaft verbrachten (besser<br />

gesagt: ertrugen). Es viel uns zunehmend schwerer, „O, welch wunderbare<br />

Kunde“ zu singen, wenn die „wunderbare Kunde“, auf die wir seit bitterlanger Zeit<br />

verzweifelt warteten, nicht mehr ankam. T<strong>ro</strong>tzdem aber gelang es uns, in<br />

unseren Herzen die nötigen Ressourcen der Freude und der Hoffnung zu<br />

sammeln, um die Geburt des Herrn wie es sich gehört zu feiern.<br />

Was das Neujahr 1948 betrifft, so hatten wir überlegt, es in der<br />

Silvesternacht mit einem spottvollen und anregenden P<strong>ro</strong>gramm<br />

herauszufordern, in der Hoffnung, es dazu zu bewegen, doch sein Verhalten uns<br />

gegenüber zu ändern und uns endlich heimzuführen.<br />

Das P<strong>ro</strong>gramm, reich an Chören, Arien, Couplets, Kuchenbillets (ohne<br />

Kuchen, natürlich) musste bei einer Art Generalp<strong>ro</strong>be am Morgen des letzten<br />

Tages des Jahres überprüft werden. Die Premiere sollte in der Silvesternacht<br />

nach dem Zapfenstreich in unserer Baracke stattfinden. Wir hatten auch unsere<br />

deutschen, österreichischen, polnischen und ungarischen Freunde eingeladen.<br />

Aber kaum hatte ich die P<strong>ro</strong>be mit dem Vortrag eines von mir in Versen<br />

verfassten einführenden Sketches eröffnet, als, unter dem Gelächter, das meine<br />

eingebauten politischen Anspielungen und Unflätigkeiten auslöste, Cotea, der mit<br />

finsterem Gesicht die Iswestija in der Hand hielt, in unsere Mitte stürzte und um<br />

Aufmerksamkeit bat. Dann begann er, uns aus der Zeitung vorzulesen: „Die<br />

Abdankung seiner Majestät, König Michael“.<br />

Wir erstarrten. Also denn, das letzte Bollwerk, der König, war gefallen.<br />

Nichts konnte nun mehr die <strong>ro</strong>te Flut daran hindern, sich über das gesamte Land<br />

zu ergießen und die Gefängnisse, die Zuchthäuser und die Lager mit<br />

hunderttausenden von Opfern und die Massengräber mit gleich vielen Kadavern<br />

zu füllen. Der Wahnsinn, das Verbrechen, der Hunger und der Ter<strong>ro</strong>r sollten<br />

auch auf dem Leib unseres Vaterlandes herumtanzen, so wie sie es auch auf<br />

jenem des unglückseligen Russlands eine Generation vorher getan hatten. Auf<br />

zynische Weise auf dem Rindermarkt von Yalta verkauft, von den sowjetischen<br />

„Kriegsgenossen“ besetzt und mit dem eisernen Knüppel ihrer Vertrauensleute<br />

regiert, war in unserem Land nun auch die einzige Stimme, die einen P<strong>ro</strong>test<br />

auslösen und einen Widerstand artikulieren konnte, ausgeschaltet worden! (Gut<br />

wenigstens, dass er nicht das Schicksal des Zaren hatte!) Weh uns! Woher<br />

konnten wir denn nun noch Erlösung erwarten? Schweigend setzten wir uns auf<br />

die Bänke und auf die Bettränder, starrten auf den Boden, um unsere Tränen zu<br />

verbergen, und ich zerriss langsam und geduldig mein Papier mit den Späßen<br />

und Unflätigkeiten für Neujahr, Stückchen für Stückchen, bis Konfetti draus<br />

wurde.<br />

„Die Vorstellung wird nicht mehr stattfinden. Die Einladungen werden<br />

rückgängig gemacht. Wir trauern.“

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