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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 11<br />

desgleichen sahen, wie die Schlange der Denunziation ihren Schwanz um uns<br />

schlang, fragten wir uns desorientiert: «Wem können wir denn noch vertrauen<br />

und vor wem müssen wir uns nun zuerst hüten?» Wir fühlten uns wie in einem<br />

Wald voller Raubtiere.<br />

War das gegenseitige Vertrauen einmal verloren gegangen, kehrte die<br />

Isolierung in unsere Mitte ein.<br />

Wir lebten einer neben dem anderen, gleich Kartoffeln in einem Sack. Wir<br />

stellten keine Körper mehr dar, sondern eine amorphe Masse von isolierten<br />

Individuen, ein von der Macht ideal zu manövrierendes Element.<br />

Glücklicherweise hielt dieser Zustand der Abnormalität nicht allzu lange an. Um<br />

zu überleben, nicht nur physisch, sondern auch moralisch, mussten wir diesen<br />

Albtraum des Misstrauens und diese Isolierung, zu der dieses uns verdammte,<br />

verlassen. Wir mussten das Vertrauen zischen uns wieder herstellen. Und<br />

letztlich gelang uns dies. Aber auf neuen Grundlagen: Überprüfung der<br />

Charaktere, gemeinsame Bestrebungen, Ansichtsidentität in den<br />

Grundsatzfragen und die Bereitschaft – wenn nötig mit Opfern und Risiken<br />

verbunden –, zur Errichtung einer Solidarität nach dem Prinzip der Musketiere<br />

beizutragen («Alle für einen, einer für alle»).<br />

Man ging hiermit stillschweigend von einer Existenz des Einzelnen in der<br />

Masse zu seiner Existenz in der Gemeinschaft über, begründet durch Affinitäten<br />

und das Aufrechterhalten einer stark von den christlichen Werten getragenen<br />

Kameradschaft, und wer ihr beitrat, wurde mit Vertrauen, Wertschätzung und gar<br />

Liebe aufgenommen; und in der man sich vor allem anderen geschützt fühlte.<br />

Geschützt durch diese Gemeinschaft dank jener Fähigkeit der Solidarität,<br />

effizient zu reagieren auf die brutalen und unverschämten Eingriffe der Macht,<br />

mit dem Zweck, auch unsere innere und nicht bloß die äußere Freiheit zu<br />

annektieren, um somit die Stacheldrahtumzäunung bis in unser Bewusstsein<br />

hinein auszudehnen und den Verrat in seiner niedrigsten Auffassung, jener des<br />

Volks-, des Gottes-, letztendlich des Verrats des eigenen Selbst in uns<br />

einzupflanzen.<br />

Der erste Test dieser Solidarität war es, den Inhaftierten einen<br />

kameradschaftlichen Beistand zuzusichern (eine warme Jacke, ein Plus an<br />

Nahrung, abgezweigt von eines jeden Munde und den Notleidenden mit jedem<br />

Risiko zugeführt).<br />

Diese Solidarität in den rumänischen Offizierslagern war in der von<br />

Egoismus und Selbsterhaltungstrieb dominierten Welt, in der wir lebten,<br />

regelrecht ein wahres Wunder, das unsere Existenz erleuchtete und all die uns<br />

trennenden Widerwärtigkeiten bei der Wärme der christlichen Liebe schmelzen<br />

ließ. Sie erfasste sogar Vertreter anderer Nationen, mit denen uns das Schicksal<br />

gelegentlich in Karzern oder Isolationszellen zusammenbrachte. Erzielt hatten<br />

wir sie aber erst nach und nach, unter Schwierigkeiten und Opfern; aber sie<br />

stellte den Anfang unserer moralischen Gesundung dar und vor allem das<br />

Plasma, woraus sich der «Widerstand» in den Rumänenlagern entwickeln sollte.<br />

Und diese unsere Überlebensform (auch als moralisch-geistige und nicht bloß<br />

als physische Entitäten), der Widerstand, formte sich schön langsam von selbst<br />

durch Taten und Kämpfe. Anfangs bestanden seine Manifestationsformen in<br />

gemeinsamen P<strong>ro</strong>testen gegen die Übergriffe der Verwaltung und gegen die

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