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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 52<br />

dieser Kette durfte niemand lebend zurückbleiben. Ein Schuss in die Stirn löste<br />

auf der Stelle und effizient die internationalen Engagements der UdSSR, die den<br />

ärztlichen Beistand für die verwundeten Gefangenen betrafen.<br />

An den Rändern dieses über die ganze Wegbreite und gar darüber hinaus<br />

sich ausbreitenden Menschenst<strong>ro</strong>ms gingen schweigsam, mit ihren MPs am<br />

Hals, die usbekischen „Tschassowojs“. Sie verfolgten uns mit den gierigen Blicke<br />

eines Wolfes, der eine Herde von Schafsböcken vor sich hat, aus der er jene<br />

herausgreifen möchte, von denen noch was zu plündern da ist.<br />

Ich weiß nicht, wie es geschah, dass ich, begleitet von meinen Soldaten,<br />

mich unvorsichtig stark dem rechten Rand des Menschenst<strong>ro</strong>ms näherte. Ein<br />

Usbeke wurde meiner gewahr.<br />

„Oj, oj“, schrie der Affe. „T` afizir, idi siuda!“ (du Offizier, komm her!)<br />

„Ja ni afizir, ja soldat“ (ich bin nicht Offizier, sondern Soldat), antwortete ich<br />

feige; der Usbeke jedoch hatte bereits nach meiner Hand gegriffen.<br />

„Eta ni ruk rabotschik, eta ruk inteligenzija“ (dies ist nicht die Hand<br />

eines Arbeiters, dies ist die Hand eines Intellektuellen). Ich war viel zu<br />

ersch<strong>ro</strong>cken, um mich von dieser schmeichelhaften Anerkennung meiner<br />

Zugehörigkeit zur Intellektualität beeindrucken zu lassen, so dass ich mit der<br />

Kraft, die einem die Angst vor dem Tode verleiht, meine Hand aus seiner Kralle<br />

riss und mich in die Mitte der Menge warf. Der Usbeke mir nach. Da sprangen<br />

Ivan und meine anderen Jungs dazwischen und versperrten ihm den Weg, wobei<br />

sie laut ausriefen: „Er ist kein Offizier, er ist Soldat wie wir!“ Der Mongole<br />

erschrak angesichts des Lärms, den er ausgelöst hatte und verließ die Kolonne<br />

einem Habicht gleich, den die Flügelschläge einer Schar von Staren, in die er<br />

unvorsichtigerweise geraten ist, verstört haben. Als Offizier – als der mich die<br />

Hand eines „Nerabotschik“ verriet – konnte der Usbeke mich mit bestem<br />

Gewissen des Klassenbewussten umlegen. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass<br />

meine Bisonlederstiefel ihn mehr interessierten als jede ideologische<br />

Begründung. Deren Verlust aber bedeutete für mich desgleichen den Tod.<br />

*<br />

In dem Maße, in dem die Nacht voranschritt, kam für uns zum F<strong>ro</strong>st, zu<br />

der Müdigkeit und zum Hunger noch der Durst hinzu – einige versuchten, diesen<br />

mit Schnee zu stillen. Die meisten aber warteten wir mit Feldflaschen und Näpfen<br />

in der Hand darauf, dass wir auf einen Fluss stießen, um uns satt trinken zu<br />

können.<br />

Plötzlich hörte man an der Spitze der Kolonne eine MP-Salve. Für den<br />

Moment schenkten wir ihr keine besondere Aufmerksamkeit. Aber die Gerüchte,<br />

die von vorne zu uns drangen, obschon konfus und widersprüchlich, sollten eine<br />

grässliche Realität bestätigen. Als wir die nämliche Stelle erreichten – ein<br />

Bächlein mit einer Brücke, über die wir zu gehen hatten – sahen wir sowohl<br />

rechts als auch links von der Brücke sieben, acht niedergemähte Gefangene am<br />

Wasserufer liegen, die einen mit den Feldflaschen oder den Essnäpfen zum<br />

durstlöschenden Nass hin ausgestreckt, die anderen mit dem Kopf im Wasser<br />

zum letzten Schluck, den nun jeder Wasserstoß anklagend hin- und herwiegte.<br />

Als wir von weitem das Wasser erblickten, wuchs unser Durst, entlockte uns<br />

„Wasser, Wasser“-Rufe und trieb uns durstigen Rindern gleich der Tränke zu. Als<br />

wir jedoch des Schreckensbildes vor uns gewahr wurden, erstarrten wir: Am

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