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radu m|rculescu - Memoria.ro

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Radu M!rculescu: Leid und Erleuchtung in der sowjetischen Gefangenschaft 225<br />

ersten Akkorde aus der Unvollendeten), ein apotheotisches Finale fortissimo mit<br />

Mendelssohn Bartholdys Sommernachtstraum/ Der Hochzeitsmarsch.<br />

Unter dem schallendem Applaus, welcher den Saal erschütterte, hob sich<br />

langsam, langsam der Vorhang über einem ins fahle Licht des Morgengrauens<br />

getauchten gotischen Weinkeller, wo unsere Helden gerade den letzten Heller<br />

ihrer letzten Beute ausgegeben hatten. Nun baten sie den Wirt, ihnen Getränk<br />

auf Kredit auszuschenken, indem sie moralische Garantien ins Feld führten. Das<br />

verkleidete Auftreten der beiden Frauen, Eulalia und Gretti, angelockt von Don<br />

Giacomos pompösem Plakat am Eingang, worauf er sich als g<strong>ro</strong>ßer Lehrer für<br />

Belcanto und Theaterkunst ausgab, war dank der reichen Kostüme, des echten<br />

Make-ups, vor allem aber durch die Weiblichkeit der Mimik und der Gestik eine<br />

Sensation für den Saal. Es gab Beifall auf offener Bühne.<br />

Nach der Ekstase der beiden Gänse angesichts der drei Abenteurer und<br />

die Anwerbung derselben als Steuereinnehmer und Lehrer (die von einer<br />

Vorauszahlung begleitet wurde, womit diese ihre Schulden beglichen und noch<br />

eine Runde bestellten), folgte schließlich eine Bacchanale (auf das Falstaffthema<br />

aus den Lustigen Weibern), welche den P<strong>ro</strong>log mit einer hedonistischen Moral<br />

abschloss: „Scher dich nicht ums Morgen/ Lebe heute gut / Fortuna, die sieht<br />

alles / Und wird für dich sorgen.“<br />

Der Vorhang ging unter gewaltigem Applaus nieder. Als er wieder<br />

hochgezogen wurde, damit wir dem Ruf an die Rampe folgen konnten, sahen wir<br />

mit gemischten Gefühlen des Entzückens und des Schreckens einen im Delirium<br />

tosenden Saal. All meine Sorge verflog, als ich sah, dass auch die NKVD-<br />

Männer voller Überzeugung Beifall klatschten.<br />

In der ersten Reihe hatte die Mumienmaske Gristschuks Leben<br />

angenommen und er sagte etwas zu Major Popescu: „Ot ikra!“ (Was für<br />

Theater!), wie ich später erfahren sollte. Da ich also ob der „politischen“<br />

Rezeption beruhigt war, kümmerte mich nun, wie man Cump\t\s Verkleidung als<br />

Gretti aufnehmen würde. Die Travestie funktioniert dann gut, wenn die Rolle eine<br />

rein komische ist, so wie es jene Gutuleanus als Chiri]a war. Da kann eine<br />

männliche Stimme aus einem Damenkorsett heraus den Witz nur mehr steigern.<br />

Was aber wenn in einer Mädchen<strong>ro</strong>lle auch eine lyrische Passage vorkommt, die<br />

in die Seelen ein bisschen Zärtlichkeit, Träumerei, etwas T<strong>ro</strong>st tröpfeln soll? Dies<br />

war der Fall Grettis, nachdem der Verführer Alfonso ihr den zauberhaften<br />

Horizont der mediterranen Welt eröffnet hatte, gen die sie auf ihrem Flug ins<br />

Glück ja aufbrechen sollten. Alleine auf der Vorderbühne, vor dem Vorhang<br />

stehend und in blauem Scheinwerferlicht, enthüllte sie der Nacht, dem Mond und<br />

den Sternen ihre erste Liebe. Nun gut, Cump\t\s Stimme, fern davon, auch nur<br />

annähernd eine weibliche Stimme nachzuahmen, sondern ganz die seine<br />

bleibend, gelang es durch ihre samtene Wärme fast im Flüsterton uns in<br />

vollkommenster Reinheit jene Beschwörung des ersten Liebestraums<br />

mitzuteilen. Und der Saal ließ sich von diesem Zauber einfangen und verfolgte<br />

mit angehaltenem Atem diesen kaum geflüsterten Monolog, und nach einigen<br />

Minuten des Schweigens wurde diskret applaudiert.<br />

Und so kam es, dass ohne Vorfälle Bild um Bild und Akt um Akt gespielt<br />

wurden, alles in einem unbändigen Beifallsturm, bis die Handlung sich ihrem<br />

katast<strong>ro</strong>phalen Höhepunkt näherte, die Darstellung der so genannten „Oper“,

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