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Handbuch-zur-Befreiung

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DIE REALISIERUNG DER ALLIIERTEN KRIEGSZIELE 241<br />

MUSSERT-Partei 450 waren und aufgrund dessen verhaftet wurden, mußten ca. 12.000<br />

Kinder in provisorischen Heimen oder bei Verwandten und noch weitere 8.000 in<br />

besonders eingerichteten Lagern untergebracht werden. 451 Im August 1946 saßen<br />

noch 51.200 politische Gefangene in den niederländischen Gefängnissen, mehr als<br />

40.000 wurden verurteilt. 452 In Belgien gab es zwar nicht annähernd so viele Massenexekutionen<br />

wie in Frankreich oder Italien, einige Tausend fielen der Lynchjustiz<br />

aber dennoch zum Opfer, wobei sie es an Grausamkeit auch nicht fehlen ließen. Eine<br />

Berichterstatterin schrieb im „Le Monde“ vom 28. Juni 1945, „daß in Ostende, ...<br />

neulich ein Transport freiwilliger Arbeiter aus Odessa einlief, die glaubten, nun aus<br />

der Verbannung heimzukehren. Man ließ ihnen aber nicht einmal Zeit zum Aussteigen.<br />

Die Menge warf sie ins Wasser. Sie schwammen auf das Land zu. Die Menge<br />

stieß sie <strong>zur</strong>ück. Sie ertranken. So wurden die ‚Entbürgerten’ nach Gebühr bestraft.<br />

...“ 453 Nachdem dann die Behörden die private Jagd auf die Kollaborateure unterbunden<br />

hatte, begann die legale Säuberung. „Die Verhaftungen [in Belgien] erreichten in<br />

einigen Monaten die Zahl von hunderttausend, während die Justiz mehr als sechshunderttausend<br />

Akten gegen Verdächtige anlegte. Natürlich mußte man die meisten<br />

dieser Strafverfolgungen wieder einstellen, denn sie beruhten auf unhaltbaren Beschuldigungen.<br />

57.000 Personen aber wurden gerichtlich belangt und fast alle mit<br />

Gefängnis bestraft. 238 Todesurteile wurden ausgesprochen. Einige Hinrichtungen<br />

fanden öffentlich vor einer tausendköpfigen Menge statt.“ 454 Eine der wenigen<br />

Stimmen, die sich gegen das Unrecht erhob, war der Anarchist Pierre FONTAINE, der<br />

sich 1946 in der Brüssler Zeitung „La Lanterne“ äußerte, „unter den 70.000 Gefängnisinsassen<br />

befänden sich genau 23.190, die unter keinerlei Strafgesetzt fielen.“ 455<br />

Die Bilanz der politischen Säuberungen zieht SÉRANT wie folgt:<br />

„Das Ausmaß der Massenverhaftungen bei der <strong>Befreiung</strong> scheint in allen Ländern<br />

gleich gewesen zu sein. Für Frankreich schätzte der ‚Figaro’ die Zahl der<br />

Festnahmen auf etwa ein Zehntel der erwachsenen Bevölkerung. ... Die summarischen<br />

Hinrichtungen [Lynchjustiz] waren anscheinend in Norwegen und Holland<br />

nur Ausnahmen, in Dänemark ziemlich selten. Verhältnismäßig häufig aber<br />

kam es in Belgien und sehr häufig in Frankreich und Italien dazu. ... Die Prozesse<br />

vor Sondergerichten waren der Zahl nach in den verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich.<br />

Sie fanden in Holland und Belgien häufiger statt als in Norwegen<br />

450 Anton Adriaan Mussert, geb. in der niederländischen Provinz Noord-Brabant und Studium an der<br />

Technischen Universität Delft. Mit Cornelis van Geelkerken und zehn Weiteren gründete Anton Adriaan<br />

Mussert die National-Sozialistische Bewegung (NSB) der Niederlande. Er gab seine Karriere als<br />

Ingenieur auf, um ihr Vorsitzender zu werden. Als solcher war er der prominenteste Nationalsozialist<br />

der Niederlande. Während des Zweiten Weltkriegs konnte er seine Position durch die deutsche Unterstützung<br />

ausbauen: Im Jahre 1942 wurde er durch die deutsche Besatzungsbehörde zum sog. „Führer<br />

des niederländischen Volkes“ ernannt. 1941 gründete er die SS-Freiwilligen-Legion Niederland. Am 7.<br />

Mai 1945 wurde er festgenommen, wegen Kollaboration im November vor Gericht gestellt und wegen<br />

Landesverrats am 7. Mai 1946 in Den Haag hingerichtet.<br />

451 P. Sérant, a.a.O. S. 283<br />

452 Ebda. S. 290 f.<br />

453 Ebda. S. 109<br />

454 Ebda. S. 110<br />

455 Ebda. S. 120

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