11.10.2015 Views

Handbuch-zur-Befreiung

Create successful ePaper yourself

Turn your PDF publications into a flip-book with our unique Google optimized e-Paper software.

410 KOMM HEIM! – KOMM HEIM INS REICH!<br />

entsprechenden Resonanzen von Körperempfindungen und Emotionen zuständig sind,<br />

was den gemeinsamen soziokulturellen Bedeutungsraum zum wirklich entscheidenden<br />

Faktor macht. Dies bedeutet, daß sich das Gehirn eines inneren Simulationsprogramms<br />

bedient, wenn es einen anderen Menschen wahrnimmt. Er wird mit den<br />

gleichen Systemen modelliert wie die eigene Person. Dieser durch Spiegelnervenzellen<br />

vermittelte Vorgang läuft vorgedanklich, vorsprachlich und spontan ab. Er ist die<br />

neurobiologische Grundlage für intuitives Wahrnehmen und Verstehen. Da dieser<br />

Mechanismus allen Menschen eigen ist, stellt das System der Spiegelnervenzellen ein<br />

überindividuelles neuronales Format dar, durch das ein gemeinsamer zwischenmenschlicher<br />

Bedeutungsraum erzeugt wird. Da der Inhalt dieses gemeinsamen<br />

menschlichen Bedeutungsraumes Programme für alle typischen, erfahrungsgemäß<br />

auftretenden Sequenzen des Handelns und Empfindens innerhalb der eigenen Spezies<br />

enthält, bildet er zugleich auch die intuitive Basis für das Gefühl einer – im großen<br />

Ganzen – berechenbaren, vorhersagbaren Welt. Da darin auch die Vorhersagbarkeit<br />

und Berechenbarkeit des Verhaltens anderer Menschen eingeschlossen ist, stellt der<br />

durch das System der Spiegelneurone gebildete gemeinsame zwischenmenschliche<br />

Bedeutungsraum auch die Basis dessen dar, was wir (Ur-)Vertrauen nennen. 680<br />

Das System der Spiegelneurone ist ein soziales Orientierungssystem und gibt uns,<br />

zumindest in Maßen, Sicherheit im sozialen Umfeld. So wird klar, was es bedeutet,<br />

wenn das Orientierungssystem ausfällt, dem wir die Vorhersehbarkeit unseres Umfelds<br />

verdanken. Eine solche Situation bedeutet Unberechenbarkeit und Gefahr, und<br />

auch wenn diese nicht bewußt wahrgenommen werden muß, aktiviert der Körper in<br />

jeder Gefahrensituation eine größere Zahl von Abwehrmechanismen, die zusammenfassend<br />

als biologische Streßreaktion bezeichnet werden. Sozialer Ausschluß ist somit<br />

chronischer biologischer Streß, und chronischer Streß ist ein Krankheits- und Selbstzerstörungsprogramm.<br />

Biologische Selbstzerstörungsprogramme, die unter bestimmten<br />

Bedingungen aktiviert werden, sind ein überall in der Natur anzutreffendes<br />

Phänomen. Selbst einzelne Zellen verfügen über die Option, Gene anzuschalten, um<br />

die eigene Selbstzerstörung, „Apoptose“ genannt, in die Wege zu leiten. Einen ganz<br />

ähnlichen Mechanismus gibt es bei Nervenzellen des menschlichen Gehirns. Überhöhte<br />

Konzentrationen körpereigener Alarmbotenstoffe wie Glutamat und Cortisol<br />

können den Tod von Nervenzellen bewirken. 681 Es ist ersichtlich, daß eine Vielzahl<br />

der sogenannten Zivilisationskrankheiten hier ihren Ursprung hat. Die Ursache, daß in<br />

Japan Krebserkrankungen oder Allergien weit weniger verbreitet sind als in den<br />

westlichen Industriestaaten, ist somit weniger im Ernährungsverhalten oder der<br />

genetischen Veranlagung zu suchen, als viel mehr darin, daß Japan es verstanden hat,<br />

seine ethnokulturelle Identität weitgehend zu bewahren. Auf alle Fälle sind der<br />

andauernde Entzug der spiegelnden Wahrnehmung und der Ausschluß aus dem<br />

Raum der sozialen Zugehörigkeit oder dessen Zerstörung Akte der biologischen<br />

Vernichtung. 682<br />

680 Ebda. S. 166 f.<br />

681 Ebda. S. 113<br />

682 Ebda. S. 115

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!