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Handbuch-zur-Befreiung

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ZWEITER DEUTUNGSVERSUCH DES GESCHICHTSPROZESSES 359<br />

Das Potential eines Nationalstaates liegt in der Leistungskraft seines Volkes, also<br />

der Kopfzahl seiner Nation und dessen Fähigkeiten und Antriebskräften. Zum Ausgleich<br />

eigener Defizite hatten manche Nationen es in der Vergangenheit verstanden,<br />

diesen Faktor dadurch zu erhöhen, daß sie machtpolitisch unterlegene Kulturen und<br />

Völker unterwarfen, so daß deren Leistungskraft zu der des eigenen Volkes hinzu<br />

addiert werden konnte. Die Leistungskraft ist aber nur der eine, der momentane<br />

„Brunnen“, aus dem staatliche Macht geschöpft wird. Die zweite, weitaus tiefere und<br />

wichtigere Machtquelle, ist der angesammelte Bestand, die Gesamtsumme der Leistungskraft<br />

der Vergangenheit, die nicht sofort verbraucht und konsumiert wurde und<br />

unter dem Begriff Vermögen zusammengefaßt werden kann.<br />

Jede der europäischen Mächte, bis hin zu Mittel- und Kleinmächten, hatte sich<br />

Anfang des 20. Jahrhunderts irgendwo auf dieser Welt große und kleine Flecken<br />

zugeeignet, und versuchte, diese zum eigenen Vorteil und Nutzen maximal auszubeuten.<br />

Die mit riesigem Abstand, insbesondere was den wirtschaftlichen Ausbeutungserfolg<br />

anging, führende Macht war England, das sein Imperium unter dem Begriff des<br />

Britischen Empire zusammengefaßt hatte.<br />

Englands Jahrhunderte andauernder Aufstieg <strong>zur</strong> Weltmacht war gegründet auf<br />

der Unterwerfung und der anschließenden Ausbeutung militärisch unterlegener<br />

Kulturen und Völker. Anfänglich, wie auch z.B. von Spanien praktiziert, als ausschließlich<br />

staatliche Beutezüge betrieben, dominierte England über alle Konkurrenten,<br />

wobei es selbst vor staatlich sanktionierter Piraterie nicht <strong>zur</strong>ückschreckte. Der<br />

außerordentliche Erfolg Englands dadurch ermöglicht, weil der englische Staat, als<br />

Demokratie organisiert, die gesamte Nation ganz direkt an den kolonialen Bereicherungen<br />

und Plünderungen hatte teilhaben lassen. Der direkte staatliche Anteil der<br />

damit verbundenen Arbeit war auf die machtpolitische und militärische Unterwerfung<br />

und Sicherung reduziert, während die gesamte wirtschaftliche Ausbeutung privaten<br />

Personen und Gesellschaften übertragen wurde, die anschließend den staatlichen<br />

Anteil in Form von Steuern abführten.<br />

Das Britische Empire entstand dabei als Abbild der englischen Gesellschaft: Ein<br />

politisch-militärischer Staatsapparat als Beherrschungsinstrumentarium, und daneben<br />

die zweidimensionale englische Gesellschaft, die wie überall auf der Welt in Adel und<br />

Volk aufgeteilt war, wobei die Besonderheit Englands darin lag, daß das Volk, das<br />

auch die Regierung wählte, demokratisch organisiert war und über weitreichende<br />

Rechte und Freiheiten verfügte. Darüber stand ein allein vermögensseitig abgegrenzter<br />

Adel mit weitestgehend gleichen Rechten. Der englische Land- und Geldadel,<br />

dessen Gesamtheit den Kern und die Stütze der englischen Gesellschaft bildete, hatte<br />

annähernd formal nicht weitgehendere Rechte wie jedermann, verfügte aber über die<br />

weitaus größten Anteile am Volks- und insbesondere am Kolonialvermögen. Bei ihr,<br />

der englischen Oberschicht, hatte sich nahezu die gesamte koloniale Beute in Form<br />

großer Vermögen angehäuft. Die englische Gesellschaftsstruktur entsprach somit<br />

weitestgehend der eines kapitalistischen Unternehmens, wobei die Regierung das<br />

„Top-Management“, das Volk die „Arbeitnehmer“ und der Adel die „Eigentümer“,<br />

d.h., die Kapitalgeber repräsentierten.

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