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Handbuch-zur-Befreiung

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692 KOMM HEIM! – KOMM HEIM INS REICH!<br />

Ruf BOGERS führt er auf die zeitweise Anwendung von Schlägen bei Verhören<br />

<strong>zur</strong>ück. LOCKE weigerte sich, gegen BOGER Strafanzeige zu erstatten. Erwin<br />

VALENTIN führt aus, daß aufgrund seiner Strafanzeige STÜLPNAGEL, der Leiter des<br />

Arbeitslagers Neutomischel, in dem VALENTIN anfangs einsaß, wegen Lebensmittelunterschlagung<br />

zu 1 1 / 2 Jahren Zuchthaus verurteilt wurde, die er im KL Stutthof<br />

abgesessen habe. 1185 VALENTIN habe ferner behauptet, wegen seiner nicht enden<br />

wollenden Beschwerden nach Auschwitz versetzt worden zu sein, wo er an einer<br />

Lungenentzündung erkrankt sei. Im dortigen Krankenrevier habe man ihn als Arzt<br />

und Chirurg gesundgepflegt, anstatt ihn, wie die anderen Kranken, auszusortieren und<br />

zu vergasen. Er habe weiter berichtet, daß er als Saalarzt im Block 9 des Krankenreviers<br />

unter Dr. Hans MÜNCH tätig war, wo zeitweilig bis zu 1.000 vor allem an<br />

Typhus und Ruhr erkrankte Häftlinge gepflegt wurden. Wie viele andere Zeugen<br />

auch, kombiniert VALENTIN seine Aussagen mit Vergasungs- und Mordgeschichten.<br />

So behauptete er auch, daß schwerkranke Häftlinge aussortiert und „vergast“<br />

worden seien, wobei VALENTIN über diese angeblichen „Selektionen“ und „Vergasungen“<br />

aber keine weiteren Angaben machte, so daß die Vermutung nahe liegt,<br />

daß seine Ansichten über „Vergasungen“ von Nachkriegseindrücken herrühren.<br />

Widersprüchlich ist ebenso die Aussage von Walter MOSBACH, der dies selbst erkannte<br />

und gleich eine Erklärung dafür anbot: „Ich möchte Dr. Fischer in zwei<br />

Personen spalten: als Arzt war er korrekt, auch für die Häftlinge eingestellt, als SS-<br />

Angehöriger schickte er z.B. Häftlinge, die er vor 1 / 4 Stunde gut behandelt und in<br />

Schutz genommen hatte gegenüber den Häftlingsärzten, bei den Selektionen in die<br />

Gaskammer.” 1186 Tauscht man „die Gaskammer“ gegen „den Arbeitsdienst“, verliert<br />

die Aussage sogleich ihre Paradoxität.<br />

Einen ähnlichen inneren Widerspruch baute ein anderer ehemaliger Häftling, Max<br />

WILLNER [J], unbemerkt in seine Aussage ein. Zunächst berichtet er, wie er wegen<br />

Typhusverdachts aussortiert, in den Krankenabschnitt des Lagers Birkenau verlegt<br />

und gesundgepflegt wurde, obwohl er doch ein arbeitsunfähiger Jude war. Eine Seite<br />

später jedoch erzählt er, wie Häftlinge im Lager Birkenau wegen Krankheiten aussortiert<br />

wurden, diesmal aber angeblich, um in den Gaskammern zu sterben – über die er<br />

nichts zu berichten weiß, wie er sich überhaupt eigentlich an gar nichts konkret<br />

erinnert. Aber da weiß auch er Abhilfe:<br />

„... an konkrete Fälle kann ich mich heute bei dem besten Willen nicht mehr erinnern.<br />

Ich will mich bemühen, mit weiteren hier ansässigen ehemaligen Auschwitz-<br />

Häftlingen in Kürze zusammenzusitzen, um mit ihnen alles durchzusprechen und<br />

Erkenntnisse der zentralen Stelle der Landesjustizverwaltung in Ludwigsburg –<br />

Herrn Oberstaatsanwalt Schüler – ausführlich mitteilen.” 1187<br />

Um die Gedächtnislücken der Zeugen mit den entscheidenden Details zu schließen,<br />

wurden Jahre vor der Eröffnung des Hauptverfahrens systematische Aussage-<br />

Absprachen unter Einbeziehung der Staatsanwaltschaft durchführt, was dann sogar<br />

1185 Ebda. Bd. 6, S. 841-843, 847 f.<br />

1186 Ebda. S. 931<br />

1187 Ebda. S. 934 f.

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