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Handbuch-zur-Befreiung

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DIE WESENSGESTALTEN DER GESELLSCHAFTSPOLITISCHEN SYSTEME 449<br />

gen Wirtschaftsformen ihrer jeweiligen Wirtsvölker. Den Widerstreit der Wirtschaftsformen<br />

erklärt SOMBART mit dem Gegensatz von „Nomadismus und Agrikulturismus,<br />

von Saharismus und Silvanismus“. Zum Nomadismus / Saharismus führt er an:<br />

„Aus der unendlichen Wüste, aus der Herdenwirtschaft erwächst das Widerspiel<br />

der alten bodenständigen Wirtschaftsordnung: der Kapitalismus. Das Wirtschaften<br />

hat hier keinen umfriedeten Bezirk, keinen abgegrenzten Tätigkeitskreis mehr,<br />

sondern das unbeschränkte Feld der Viehzüchtung, deren Ertrag von heute auf<br />

morgen vereitelt sein, aber auch in wenigen Jahren verzehnfacht sein kann: die<br />

Herden ... wachsen rasch und nehmen ebenso rasch durch Seuchen und Hunger<br />

wieder ab. Hier allein in der Herdenwirtschaft – niemals in der Sphäre des Ackerbaues<br />

– konnte die Erwerbsidee Wurzel schlagen. Hier allein konnte die Wirtschaft<br />

auf die unbegrenzte Vermehrung der Produktenmenge eingestellt werden:<br />

‚nur die starke Vermehrung der Herden macht den Nomadismus wirtschaftlich<br />

möglich‘ (Ratzel).“ 760<br />

Und zum Agrikulturismus / Silvanismus:<br />

„Aus dem Walde, den man rodet, aus dem Sumpfe, den man <strong>zur</strong> Scholle umwandelt,<br />

aus der Scholle, auf der der Pflug geht, ist die eigenartige Wirtschaftsauffassung<br />

erwachsen, die in Europa Jahrtausende lang geherrscht hat, ehe der Kapitalismus<br />

kam: die wir die bäuerlich – oder feudal – handwerksmäßige genannt haben,<br />

die auf dem Grundgedanken der Nahrung, der Werkverrichtung, der ständischen<br />

Gliederung aufgebaut ist.“ 761<br />

Laut SOMBART herrschte bis zum Auftauchen der Juden im mittelalterlichen Europa<br />

eine staatlich kontrollierte Bedarfsdeckungswirtschaft, die auf dem Grundsatz<br />

„Nahrung für alle“ beruhte: Jedermann sollte sein Auskommen finden. Es galt das<br />

Prinzip des umfriedeten Bezirks, in den niemand durch ruinösen Wettbewerb,<br />

Preisschleuderei oder Ramschware eindringen durfte. Die Zünfte achteten auf den<br />

Schutz von Verbrauchern („gute Ware“, „gerechter Preis“). Daneben existierten<br />

Zinsverbote bzw. Zinseinschränkungen für die christliche Bevölkerung. Gegen diese<br />

zünftlerisch umfriedete Wirtschaftsordnung des europäischen Mittelalters liefen die<br />

Juden im Zeichen von „Freihandel“ und „Gewerbefreiheit“ Sturm. In vielen Teilen<br />

Europas klagten Kaufmann- und Handwerkerschaft über sog. jüdische Geschäftsmethoden:<br />

Kundeneroberungssystem durch fliegenden Handel (Hausieren, Kundennachlaufen,<br />

Reklame, Preisschleuderei mit Hehlerei- und Surrogatware), Einfuhr von<br />

ausländischer Billigware, grenzen-, branchen- und innungsübergreifender Großhandel.<br />

Als Väter der modernen Reklame sind die Juden zugleich auch die Väter der<br />

modernen Zeitungspresse, „also des eigentlichen Organs der Reklame“. Das moderne<br />

Warenhaus entstand aus der jüdischen Pfandleihe.<br />

SOMBART sieht in diesem Zusammenstoß zweier Wirtschaftsformen auch den Zusammenstoß<br />

zweier Wirtschaftsauffassungen. Während die bodenständige Wirtschaftsauffassung<br />

auf dem Grundgedanken von Traditionalismus, gemeinschaftlichem<br />

Nahrungsideal, Idee der ständischen Gliederung und Stabilität beruht, ist die nomadi-<br />

760 Ebda. S. 425 f.<br />

761 Ebda. S. 425

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