11.10.2015 Views

Handbuch-zur-Befreiung

You also want an ePaper? Increase the reach of your titles

YUMPU automatically turns print PDFs into web optimized ePapers that Google loves.

DIE WESENSGESTALTEN DER GESELLSCHAFTSPOLITISCHEN SYSTEME 455<br />

Den scheinbar humanitären Forderungen des Liberalismus nach „Freiheit,<br />

Gleichheit, Brüderlichkeit“ liegt auch nicht eine weltfremde Menschenfreundlichkeit<br />

oder ein angeblich „falsches Menschenbild“ zugrunde, sondern das Herrschaftskonzept<br />

von „Hirt und Herde“. Ziel des Herrschaftskonzepts im Gewand des Liberalismus<br />

ist der manipulationsfähige Massenmensch, der für das Kapital eine willige,<br />

stumpf vor sich hintrottende Verwertungsmasse darstellt. Damit zerstört der Liberalismus<br />

die Würde des Menschen, indem er ihn vom Glied eines Ganzen zum austauschbaren<br />

Teil einer diffusen Menschenmenge mit Warenfunktion degradiert.<br />

Während eine Volksgemeinschaft auf raumgebundene Weise organischwurzelhaft<br />

wie ein Baum wächst (nicht umsonst spricht man von Volksstamm,<br />

Stammbaum usw.), wird die Massengesellschaft aufgrund von Markt- und Geldverhältnissen<br />

und die sich daraus ergebene reale sozioökonomische Gestaltungsmacht<br />

künstlich erzeugt. Der Prozeß der Vergesellschaftung von Gemeinschaft zwecks<br />

Massenbildung wird Vermassung oder auch Verherdung, Verziehung, Verpöbelung<br />

genannt. Vermassung bedeutet also die Übertragung der nomadischen Herdenwirtschaft<br />

auf den Menschen. Während der Volksgeist seßhafte raumkonzentrierte Arbeits-<br />

und Kulturgemeinschaften formt, verwandelt der Händlergeist die Menschen in<br />

wurzellose, verschiebbare und austauschbare Verwertungsmassen und Warenansammlungen<br />

(Konsumentenmassen, Lohnarbeitermassen, Arbeitslosenmassen,<br />

Zuschauermassen, Wählermassen, ...).<br />

Die vom Händlergeist angestrebte Kommerzialisierung aller Lebensvorgänge setzt<br />

ihre Mobilisierung voraus. Der Begriff „Kommerz“ heißt deshalb nicht nur „Handel“,<br />

sondern auch „Verkehr“. Damit ein Gegenstand <strong>zur</strong> Ware wird, muß er beweglich<br />

und übertragbar sein. Zusammen mit anderen beweglich gemachten Gegenständen<br />

bildet er dann den „Warenverkehr“. Indem der Händlergeist das Geld aus einem<br />

staatlichen kontrollierten Austauschmittel in eine privat verfügbare Ware verwandelte,<br />

mobilisierte er alle seßhaften Lebensverhältnisse, angefangen vom Boden bis zu<br />

den Menschen, in austausch- und übertragungsfähige Warenmassen. Die Mobilisierung<br />

stellt die Technik der Vermassung dar und unterwirft die seßhaften Menschen<br />

dem Bewegungsgesetz des Nomadentums. Um die Völker gänzlich <strong>zur</strong> mobilen<br />

Warenmasse zu formen und den Interessen des beweglichen Kapitals zu unterwerfen,<br />

wird zudem ihr seßhafter bäuerlicher Kern zerstört. Der nomadische Händlergeist in<br />

Form des Kapitalismus wirbelt durch Mobilisierung und Vermassung „die Völker und<br />

Rassen durcheinander, alle blutsmäßigen Zusammenhänge, alle Bindungen an den<br />

Boden mißachtend, ohne jede Scheu vor all solchen Zusammenhängen der Natur“,<br />

die auf organische Wechselbeziehungen und Kreisläufe angelegt ist. 769<br />

Die mobile Massengesellschaft ist eine hin- und herflutende (fluktuierende) Menschenmenge<br />

ohne Konsistenz, Stabilität und Dauerhaftigkeit. Sie ist gekennzeichnet<br />

von der Unsicherheit und dem ständigen Wechsel aller Lebensverhältnisse. Die<br />

Mobilisierung geht zwangsweise einher mit der Individualisierung, die sich gegenseitig<br />

bedingen. Mobilität zerstört somit alle gewachsenen Familien-, Sippen- und<br />

Volksgemeinschaften und am Ende dieses Prozesses steht der atomisierte oder vereinzelte<br />

Einzelne, der nicht mehr Glied eines organischen Ganzen, sondern nur noch<br />

769 Ferdinand Fried: Wende der Weltwirtschaft, Wilhelm Goldmann Verlag, Leipzig 1940, S. 111

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!