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Handbuch-zur-Befreiung

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DIE REALISIERUNG DER ALLIIERTEN KRIEGSZIELE 277<br />

Die Neue Linke der sechziger Jahre griff auf REICHS Forderung nach ungehemmtem<br />

und bindungslosem Ausleben der Sexualität als Verwirklichung der Emanzipation<br />

sowie als angebliche Vorbeugung gegen faschistische Haltung besonders eifrig<br />

<strong>zur</strong>ück. Der Kampf gegen die angebliche „Triebversklavung“ wurde Bestandteil des<br />

neomarxistischen Versuchs <strong>zur</strong> Umwälzung der Verhältnisse in Deutschland Ende der<br />

sechziger Jahre. REICH verband als Marxist FREUDS Trieblehre mit kommunistischklassenkämpferischen<br />

Ideen und entwickelte daraus seine noch einseitigere „sexökonomische<br />

Lehre“, insbesondere nach seiner Emigration in die USA im Jahre 1939. In<br />

seinen Büchern, „Die Massenpsychologie des Faschismus“, 1933, und „Die sexuelle<br />

Revolution“ 1936-45, konstruierte er Zusammenhänge zwischen dem Auftreten<br />

totalitärer bzw. autoritärer Gesellschaftssysteme und Formen der Sexualität. Wie die<br />

Frankfurter Schule vertrat er die Meinung, daß die Volksmassen anfällig für totalitäre<br />

Regierungsformen und <strong>zur</strong> „marxistischen Revolution“ unfähig seien, weil ihnen die<br />

„richtige Einsicht“ in ihre angeblich unterdrückte Lage fehle. Als Ursache für die<br />

mangelnde Einsicht und Bereitschaft der Werktätigen <strong>zur</strong> „Revolution“ glaubte REICH<br />

erkannt zu haben: „Was die Masse unfähig <strong>zur</strong> Freiheit macht, ist die Unterdrükkung<br />

des genitalen Liebeslebens in Kindern, Heranwachsenden und Erwachsenen.<br />

... Sexuelle Unterdrückung ändert die Struktur des ökonomisch unterdrückten Individuums<br />

so, daß es gegen seine Interessen handelt.“ 518<br />

Da REICH nicht nur „wissenschaftliches“ Interesse besaß, sondern als überzeugter<br />

Marxist politische Einflußnahme anstrebte, zog er auch die Folgerung aus diesen<br />

neuen „Erkenntnissen“ für die in den verschiedenen Ländern Europas in den zwanziger<br />

Jahren entstandenen „faschistischen“ Bewegungen und versuchte, diese in kaum<br />

nachvollziehbarer Weise mit der Unterdrückung der Sexualität zu erklären:<br />

„Der Faschismus ist nur der politisch organisierte Ausdruck der durchschnittlichen<br />

menschlichen Charakterstruktur. ... Der Faschismus als politische Bewegung<br />

unterscheidet sich von anderen reaktionären Parteien dadurch, daß er von den<br />

Massen des Volkes unterstützt wird. ... Faschismus ist auf einer Religiosität aufgebaut,<br />

die aus einer sexuellen Perversion stammt; er ändert den masochistischen<br />

Charakter der alten patriarchalischen Religion in eine sadistische Religion.“ 519<br />

Und weiter folgert REICH:<br />

„Da die autoritäre Gesellschaft sich in der Struktur des Massenindividuums durch<br />

die autoritäre Familie reproduziert, folgt, daß die politische Reaktion die autoritäre<br />

Familie als Basis des Staates, der Kultur und Zivilisation verteidigt. ... Die<br />

Mutter ist die Heimat des Kindes und die Familie die Nation en miniature.“ 520<br />

Und daß „metaphysisches, individualistisches und familiäres Verhalten [nach<br />

Reichs bzw. marxistischer Auffassung negativ bewertet] nur verschiedene Aspekte ein<br />

und desselben Prozesses der Sex-Negation“ sei. Nach REICHS Ansicht ist die „durchschnittliche<br />

menschliche Charakterstruktur“ die allgemeine, faschistisch und wird<br />

„von den Massen des Volkes [also der Mehrheit] unterstützt“. Eine erfolgreiche<br />

518 Zit. n. C. Schrenck-Notzing, a.a.O. S. 117<br />

519 Ebda. S. 117 f.<br />

520 Ebda. S 118

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