11.10.2015 Views

Handbuch-zur-Befreiung

You also want an ePaper? Increase the reach of your titles

YUMPU automatically turns print PDFs into web optimized ePapers that Google loves.

532 KOMM HEIM! – KOMM HEIM INS REICH!<br />

hinsichtlich des Wesens und der Wirksamkeit der Vernunft erblickten. Tatsächlich<br />

vollzogen die Deutschen niemals jenen Bruch [der wurde erst nach 1945 erzwungen]<br />

mit der politischen oder religiösen Tradition, deren glühendes Symbol die<br />

französische Revolution ist. ... Die Neigung, über das Christentum zu philosophieren,<br />

ist in Deutschland ein zu weit verbreitetes Phänomen als daß man es als einen<br />

feigen Wunsch ansehen könnte, sich den bestehenden Verhältnissen anzupassen<br />

[was der ständige Vorwurf französischer Gelehrter gegenüber den Deutschen<br />

war]. Vielmehr zeigt es eine geistige Pietät in einem Volk, das abstrakte und formale<br />

Freiheit des Gedankens und Gewissens ohne einen heftigen politischen Umsturz<br />

erreicht hatte. ... Die Deutschen waren im Gegenteil dazu ‚vorbestimmt’,<br />

Träger des christlichen Prinzips zu sein und die Idee als absolut vernünftiges Ziel<br />

zu verwirklichen. ‚Dies erreichten sie nicht durch eine Flucht aus der säkularisierten<br />

Welt, sondern indem sie sich bewußt wurden, daß das christliche Prinzip<br />

an sich das der Einheit des Subjektiven und des Objektiven, des Geistigen und des<br />

Weltlichen ist. Der ‚Geist findet das Ende seines Kampfes, seine Harmonie, gerade<br />

in dem Bereich, den er zum Gegenstand dessen machte, was ihm widerstand, –<br />

er findet, daß die Verfolgung weltlicher Angelegenheiten eine geistige Tätigkeit<br />

ist’ – eine Entdeckung gewiß, die Einfachheit mit Verständlichkeit vereinigt und<br />

die nicht zu einer Kritik an der Verfolgung weltlicher Angelegenheiten führt. Was<br />

man auch immer darüber vom Standpunkt der Philosophie sagen kann, ist es in<br />

einer bestimmten Weise Ausdruck für die Eigenart deutschen Lebens und Denkens.<br />

Deutschland hat mehr als alle anderen Länder das Schicksal gehabt, die<br />

großen Ideen der Vergangenheit als Nahrung für sein gegenwärtiges Vorstellungsleben<br />

und als gefühlsmäßige Rechtfertigung beizubehalten. Es hat die stärkende<br />

Kraft dieser Ideen auf die Arbeit der Wissenschaft und auf die Politik übertragen<br />

– gerade auf die Tätigkeitsbereiche, die in anderen Ländern, am bemerkenswertesten<br />

in den lateinischen, als Waffen zum Angriff auf die Tradition dienten.<br />

Die politische Entwicklung erzählt eine irgendwie ähnliche Geschichte. Der<br />

schmerzvolle Übergang vom Feudalismus zum modernen Zeitalter wurde zum<br />

größten Teil erst kürzlich in Deutschland erreicht, und zwar unter der Leitung der<br />

bestehenden politischen Autoritäten, anstatt durch eine Erhebung gegen sie. Unter<br />

ihrer Aufsicht und hauptsächlich auf ihre Initiative hin ist Deutschland in weniger<br />

als in einem Jahrhundert zum Regime eines modernen, kapitalistischen, auf Wettbewerb<br />

beruhenden, aber vom Staat in Schranken gehaltenen Unternehmertums<br />

übergegangen, indem es sich gleichzeitig von der Herrschaft jener lokalen und<br />

zunftmäßigen Beschränkungen befreite, die die wirtschaftliche Tätigkeit solange<br />

in korporativen Fesseln gehalten hatten. Die herrschenden Mächte selbst sicherten<br />

den Mitgliedern des Staates das, was jedenfalls den Deutschen ein zufriedenstellendes<br />

Maß politischer Freiheit zu sein schien. Zu diesem Fehlen innerer Störungen<br />

und Erhebungen kommt die Tatsache, daß jeder Schritt in der Entwicklung<br />

Deutschlands zu einer geeinten und politischen Macht durch Krieg mit irgendeinem<br />

seiner Nachbarn erkämpft wurde. Dies ist die Reihenfolge der Entwicklung:<br />

1815 (um nicht bis zu Friedrich dem Großen <strong>zur</strong>ückzugehen), 1864, 1866, 1870.

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!