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Handbuch-zur-Befreiung

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DIE REALISIERUNG DER ALLIIERTEN KRIEGSZIELE 341<br />

wenn sie Aufträge nicht erledigt oder die Hausarbeit vernachlässigt. Brüder und<br />

Schwestern können in solchen ‚muslimischen Verhältnissen’ keine wirklich engen<br />

Bindungen zueinander entwickeln, denn sie erleben nicht viel miteinander. Die<br />

Söhne werden von den Müttern gepampert und verwöhnt und von den Schwestern<br />

bedient, mit ihnen spielen, träumen, weinen, lachen – das tut keiner. Das müssen<br />

die Jungen mit sich selbst, vielleicht noch mit ihren ‚Kumpels’, abmachen.<br />

Die ‚Kumpels’ sind die wichtigste Bezugsgruppe. Mit ihnen kann man Stärke zeigen,<br />

Respekt von den ungläubigen Deutschen einfordern und die Demütigungen<br />

des Unterworfenseins verdrängen. Aber die ‚Kumpels’ sind selbst ‚verlorene Söhne’,<br />

sie können nicht die Fürsorge und Liebe der Eltern ersetzen, die ein Kind<br />

braucht. Die Mutter und die Schwestern sind als Gesprächs- oder Gefühlspartner<br />

unerreichbar, der Vater wird meist nur als strafende Instanz oder Herrscher über<br />

die Familie erlebt – als Partner seines Sohnes, der dessen Sorgen und Nöte teilt,<br />

ihn beschützt oder einfach für ihn da ist, fällt er aus.<br />

Muslimische Jungen wachsen ohne Liebe auf. In ihrer Sozialisation geht es in erster<br />

Linie darum, dieses Leben zu bestehen, Gott zu gehorchen und dafür zu sorgen,<br />

daß ihnen gehorcht wird. Es ist eine Welt von Schwarz und Weiß, von Entweder-Oder,<br />

von oben und unten. In ihr können keine Gefühle ausgebildet werden,<br />

die der Einzelne braucht, um zu lernen und die soziale Kompetenz auszubilden,<br />

die es ihm erst ermöglicht, in einer vielschichtigen, differenzierten Wirklichkeit<br />

bestehen zu können. Die Fürsorge, Nähe und Zuwendung der Eltern, die uns<br />

durch den sozialen Kosmos lotsen, die Sicherheit, die sie uns als ein Ort der Zuflucht<br />

bieten, wenn es im Leben über Stock und Stein geht, macht es uns erst möglich,<br />

uns in der Welt <strong>zur</strong>echtzufinden und sie uns anzueignen. In den ‚philosophischen<br />

Jahren’, wenn Kinder staunen, fragen, zweifeln, entdecken sie, daß zu jedem<br />

Warum (mehr als) ein Darum gehört, zu jedem Weshalb (mehr als) ein Deshalb,<br />

zu jedem Wozu (mehr als) ein Dazu – und so lernen sie, die Welt in all ihrer Vielschichtigkeit<br />

und damit sich selbst zu entdecken. Wenn Kinder anfangen, die abgründigen<br />

Sinnfragen zu stellen, bilden sich die ersten Konturen eines Selbstbewußtseins<br />

aus, entsteht ein Ich.<br />

Muslimischen Jungen muß die Welt fremd bleiben, weil niemand sie ihnen erklärt.<br />

Fragen sind in dieser Welt von Gehorsam und Unterwerfung nicht zugelassen. Ihre<br />

Regeln, ihre Gesetze sind fraglos gegeben. Sie müssen nicht erklärt, sondern<br />

nur befolgt werden. Erklärungen sind aber der erste notwendige Schritt, um Verantwortung<br />

für das eigene Tun und damit Selbständigkeit entwickeln zu können.<br />

Die meisten türkischen Eltern halten ‚Selbständigkeit’ für ein überhaupt nicht erstrebenswertes,<br />

sondern für ein ‚deutsches’ Erziehungsziel – nur 17 Prozent der<br />

türkischen Migrantenväter und 19 Prozent der Mütter halten das für wichtig, hat<br />

die türkische Sozialwissenschaftlerin Cigdem Kagitcibasi ermittelt. Jungen haben<br />

zu gehorchen und zu machen, was die älteren Brüder, Väter, Onkel sagen. Tun sie<br />

es nicht, drohen ihnen Schläge, weil sie keinen ‚Respekt’ haben. Und Respekt und<br />

Gehorsam sind nach derselben Untersuchung in der Türkei für 61 Prozent der Väter<br />

das wichtigste Erziehungsziel, und sie werden mit Gewalt durchgesetzt, so<br />

Ahmet Toprak in seinem Buch ,Das schwache Geschlecht – die türkischen Män-

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