11.10.2015 Views

Handbuch-zur-Befreiung

Create successful ePaper yourself

Turn your PDF publications into a flip-book with our unique Google optimized e-Paper software.

404 KOMM HEIM! – KOMM HEIM INS REICH!<br />

Beobachter noch freigestellt. Es wurde zudem nachgewiesen, daß handlungssteuernde<br />

Nervenzellen nicht nur aktiv werden, wenn die entsprechende Handlung bei einem<br />

anderen beobachtet wird, sie „funken“ auch dann, wenn man sich eine Handlung<br />

vorstellt. Wird dabei die entsprechende Handlung auch noch simultan imitiert, feuern<br />

die entsprechenden Neuronen am stärksten. Die Spiegelneurone des handlungssteuernden<br />

prämotorischen Systems liegen beim Menschen in einem Hirnareal, in dem<br />

sich auch jene Nervenzellnetze befinden, die Sprache produzieren, womit der Schluß<br />

nahe liegt, daß Sprache letztlich aus Vorstellungen über Handlungsprogramme<br />

besteht. 668 Es wird sogar angenommen, daß die Netze der Spiegelneurone und die<br />

Nervenzellennetze für die Sprachproduktion teilweise identisch sind. 669 Sprache<br />

ermöglicht uns zum einen Spiegelbilder unser eigenen Vorstellung im anderen wach<strong>zur</strong>ufen,<br />

und zum anderen denken wir in Sprache, so daß über Sprache durch<br />

Verstand und Vernunft unser Handeln und Verhalten beeinflußt wird. Je höher dabei<br />

die individuelle Sprachfähigkeit entwickelt ist, desto komplexer und ausdifferenzierter<br />

kann gedacht und vom Verstand Gebrauch gemacht werden. Die Entwicklung des<br />

Kindes auf dem Weg <strong>zur</strong> Sprache zeigt uns, daß nicht nur sein Weltverständnis,<br />

sondern auch die Sprache ihren entscheidenden Rückbezug in unmittelbaren, körperlichen<br />

Handlungserfahrungen und daraus abgeleiteten Handlungsvorstellungen hat.<br />

Die Sprache ist keine Ansammlung abstrakter Begriffe oder Etikettierungen für die<br />

Objekte einer unbelebten Welt. Sie hat ihre Wurzeln in den Handlungen bzw. Handlungsmöglichkeiten<br />

samt den dazugehörenden sensorischen Erfahrungen ihrer biologischen<br />

Akteure. 670 Der primäre Gegenstand der Sprache ist die Wiedergabe und<br />

Beschreibung der Art und Weise, wie lebende Akteure in dieser Welt handeln und mit<br />

anderen interagieren können, und was sie dabei fühlen. Sprache kann sich daher nur<br />

dort entwickeln, wo dem Kind zwischenmenschliche Beziehungen das Terrain für<br />

Handlungs- und Interaktionserfahrungen bieten. Je größer das Volumen der gemeinsamen<br />

Handlungs- und Interaktionserfahrungen, desto effektiver, also präziser und<br />

schneller kann eine Vorstellung im anderen durch Sprache gespiegelt werden. Die<br />

Erfahrung zeigt, daß schon verschiedene Dialekte einer Sprache die Effektivität der<br />

Sprache stark herabsetzen können.<br />

Ist einmal eine entsprechende Handlungssequenz im Gehirn als Programm angelegt,<br />

lassen, auch wenn nur ein Teil einer Sequenz wahrgenommen worden ist, die<br />

Spiegelnervenzellen im Gehirn eines Beobachters spontan und ohne willentliches<br />

Zutun den Gesamtablauf der Sequenz erscheinen. Die Wahrnehmung kurzer Teilsequenzen<br />

kann genügen, um schon vor Beendigung des Gesamtablaufs intuitiv zu<br />

wissen, welcher Ausgang bei der beobachteten Handlung zu erwarten ist. Spiegelneurone<br />

machen also, indem sie in Resonanz treten und mitschwingen, beobachtete<br />

Handlungen für unser eigenes Erleben nicht nur spontan verständlich, sondern<br />

können beobachtete Teile einer Szene zu einer wahrscheinlich zu erwartenden Gesamtsequenz<br />

ergänzen. Die Programme, die Handlungsneurone gespeichert haben,<br />

sind nicht frei erfunden, sondern typische Sequenzen, die auf der Gesamtheit aller<br />

668 J. Bauer, a.a.O. S. 25 f.<br />

669 Ebda. S. 75<br />

670 Ebda. S. 81

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!