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Innere Sicherheit Schweiz - Stromversorgungsrecht

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Bewährungsproben von 1874 bis 1914 187<br />

leistung (bei Revisionen), der Bundesintervention oder der Bundesexekution zurückgreifen.<br />

Als sich die Lage im Kanton verschlechterte, weitete der Bundesrat sein Interventionsrecht<br />

aus, indem er auf den in der Bundesverfassung vorgesehenen Hilferuf verzichtete.<br />

Damit versuchte er, den Graben, welcher sich zwischen der Bundesexekution und<br />

der herbeigerufenen Bundesintervention ergeben hatte, zu schliessen. Das Parlament<br />

genehmigte das unzulässige Vorgehen, wenn auch nicht unwidersprochen. Die bewaffnete<br />

Intervention von 1889 hielt vor Art. 16 Abs. 1 BV 1874 jedoch nicht stand; dass<br />

der ganze Interventionsartikel im Grunde einen überholten Mechanismus aus der Zeit<br />

des Staatenbundes perpetuierte (freundeidgenössisches Eingreifen), war der bewusste<br />

Wille des Verfassunggebers und entsprach der Systematik der Bundesverfassung von<br />

1848/1874. Ein Spielraum für die Auslegung hätte sich nur bei der Beurteilung ergeben,<br />

wann die <strong>Schweiz</strong> als solche gefährdet gewesen wäre; diese Variante von Art. 16 Abs. 2 kam<br />

für das Eingreifen im Tessin richtigerweise von Anfang an nicht in Frage.<br />

So stellt sich die Frage, ob der Verzicht auf den Hilferuf bei gestörter Ordnung im <strong>Innere</strong>n<br />

eines Kantons wirklich als eine bewusste Erweiterung der Verbandskompetenzen des<br />

Bundes gegen den Wortlaut und die Systematik der Verfassung zu beurteilen ist oder ob<br />

es dabei primär darum gegangen ist, den Kanton Tessin zu befrieden. M.E. stand Letzteres<br />

im Vordergrund: Der Bundesrat und die Mehrheit des Parlaments hatten mit dem e-<br />

her politisch als juristisch motivierten Schritt im Kanton Tessin intervenieren wollen; der<br />

Rechtstitel blieb für sie sekundär. Andernfalls wäre die Intervention nach Art. 16 Abs. 2<br />

i.V.m. einer Bundesexekution erfolgt. Wäre eine Stärkung der Bundeskompetenzen angestrebt<br />

worden, so wäre die Verfassungsrevision von 1874 der richtige Zeitpunkt dafür<br />

gewesen; doch das neue Verfassungsdokument schloss in allen hier relevanten Punkten<br />

wörtlich an jenes von 1848 an.<br />

Im Tessin stellte sich erstmals ernsthaft das Problem, dass die dissuasive Wirkung des Truppeneinsatzes<br />

– wie er anlässlich der bewaffneten Bundesintervention im Zusammenhang<br />

mit den Genfer Wahlunruhen von 1864 noch bestens funktioniert hatte – nicht mehr<br />

fruchtete. Über die eigentliche Präsenz der Truppen hinaus kam es nun tatsächlich zu<br />

Konfrontationen zwischen Truppen und Zivilisten im Rahmen des Ordnungsdienstauftrages.<br />

Ausgebildet und ausgerüstet für den Krieg hatten die Truppen nun ein Einsatzspektrum<br />

abzudecken, welches von sicherheitspolizeilichen bis zu bürgerkriegsähnlichen<br />

Szenarien, von der Durchsetzung eines Demonstrationsverbots bis zur Entwaffnung<br />

marodierender Banden reichte. Dazu fehlten den Kommandanten aber zweckmässige<br />

Verhaltensvorschriften, welche die zu lösenden Verhältnismässigkeitsfragen beantwortet<br />

hätten. Nur dank besonnenem Vorgehen („das Richtige“ tun) – im Falle des eidgenössischen<br />

Kommissärs Künzli gegen den Willen des Bundesrates – konnten schwere Zwischenfälle<br />

bei Bundesinterventionen vermieden werden. Zwar zeigten EMD und EJPD<br />

mit der Einsetzung einer Arbeitsgruppe guten Willen zur Verbesserung der Situation,<br />

doch liessen sie die Bestrebungen versanden, als sich eine dauerhafte Entspannung im<br />

Tessin abzeichnete.<br />

Mit dem plötzlichen mehrtägigen Tumult im Anschluss an den Tonhallekrawall (1871)<br />

und den Arbeiterunruhen in Göschenen (1875) zeigte sich ein neues Konfliktfeld, welches<br />

die innere <strong>Sicherheit</strong> beschlug: Sich mehr oder weniger spontan entladende soziale<br />

Spannungen waren nun jederzeit möglich. Weder beim Käfigturm- (1893) noch beim

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