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Psychiatrie und Strafjustiz

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en. 14 Sozialsysteme wie Gesellschaften unterscheiden sich dadurch von andern Systemtypen, dass sie<br />

mittels sinnhafter Kommunikation operieren, die von den jeweiligen Subsystemen mittels spezifischer<br />

Differenzschemata verarbeitet werden. Diese Subsysteme funktionieren somit als autopoietische Kommu-<br />

nikationsregimes, deren Operieren durch binäre Schematismen in Form systemspezifischer Codes reguliert<br />

wird. Das Rechtssystem operiert beispielsweise mittels des binären Codes «Recht»/«Unrecht», die Medizin<br />

dagegen mittels des Schemas «Krank»/«Ges<strong>und</strong>». 15 Ihre operationelle Geschlossenheit erhalten Subsyste-<br />

me dadurch, dass sie ausschliesslich über die für sie konstitutiven Kommunikationsschemata funktionie-<br />

ren. Die Reichweite eines systemspezifischen Codes steckt gleichsam den Operationsbereich eines Systems<br />

ab <strong>und</strong> markiert damit die für Luhmanns Theoriegebäude zentrale Unterscheidung zwischen System<br />

<strong>und</strong> Systemumwelt. 16 Konkret heisst dies, dass Subsysteme die für ihr Operieren relevanten Informatio-<br />

nen aus ihrer Systemumwelt auswählen, binär kodieren <strong>und</strong> für systeminterne Anschlussoperationen be-<br />

reithalten. Jede systemspezifische Informationsverarbeitung entspricht demnach einer Komplexitätsreduk-<br />

tion.<br />

Unmittelbar mit der Annahme systemspezifischer Praktiken der Informationsverarbeitung <strong>und</strong> -kodierung<br />

verb<strong>und</strong>en ist die Problematik der Integration unterschiedlicher Subsysteme. Luhmann selbst verneint die<br />

Existenz einer zentralen gesellschaftlichen Regelungsinstanz <strong>und</strong> verweist stattdessen auf die autopoieti-<br />

sche Selbstorganisation der gesellschaftlichen Subsysteme. 17 «Gesellschaft» als solche existiert demgemäss<br />

lediglich in Form gesellschaftstheoretischer Selbstbeschreibungen. 18 Was die Subsysteme betrifft, bedeutet<br />

die Abwesenheit zentraler Regelungsinstanzen, dass das Erbringen systemübergreifender (Kommunikati-<br />

ons-)Leistungen durch strukturelle Koppelungen zwischen einzelnen Subsystemen sichergestellt werden muss.<br />

Solche strukturellen Koppelungen bestehen beispielsweise zwischen dem Polit- <strong>und</strong> dem Rechtssystem.<br />

Entscheidungen, die aufgr<strong>und</strong> politischer Machtverhältnisse zustande gekommen sind, werden dabei in<br />

rechtspezifische Formen (Gesetze) gebracht, an welche die Operationen des Rechtssystems anzuschliessen<br />

vermögen. 19 Diese Koppelung zwischen Polit- <strong>und</strong> Rechtssystem wird in der vorliegenden Untersuchung<br />

als Rechtspolitik bezeichnet. Detlef Krause spricht in diesem Zusammenhang auch von «transformativen<br />

Systembeziehungen», das heisst von strukturellen Koppelungen, die, um funktionieren zu können, eine<br />

Übersetzung des Outputs des einen Subsystems in die Systemcodierung des andern beteiligten Subsystems<br />

voraussetzen. 20 Im folgenden wird davon ausgegangen, dass sich die strukturelle Koppelung von <strong>Strafjustiz</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>Psychiatrie</strong>, wie sie namentlich durch den (Rechts-)Begriff der Zurechnungsfähigkeit vorgenom-<br />

men wird, ebenfalls als eine solche «transformative Systembeziehung» modellieren lässt. Vorausgesetzt<br />

wird dabei, dass sich die beiden Bezugs- oder Subsysteme bezüglich der ihnen zugr<strong>und</strong>e liegenden Codie-<br />

rungsschemata «Recht»/«Unrecht», respektive «Krank»/«Ges<strong>und</strong>» unterscheiden. Die Koppelung der<br />

beiden Bezugssysteme setzt demnach eine ständige Transformation der jeweiligen Systemleistungen in die<br />

Systemsprache des jeweils andern Systems voraus. Die <strong>Psychiatrie</strong> erscheint dadurch als Leistungserbrin-<br />

gerin der <strong>Strafjustiz</strong>, die jedoch in einer eigenen Systemsprache operiert. Wie im Laufe dieser Untersu-<br />

chung zu zeigen sein wird, sind die Bedingungen <strong>und</strong> Umstände, unter denen diese Transformationsleis-<br />

tungen erbracht werden, jedoch keineswegs stabil. Sie sind vielmehr Gegenstand rechtspolitischer Auseinander-<br />

setzungen, das heisst so genannter «Grenzdiskurse», in denen die Grenzziehung zwischen den Bezugssyste-<br />

14 Luhmann, 1984, 256-265, 555. Zu Luhmanns Systemtheorie sei auf die folgende Auswahl aus der umfangreichen Sek<strong>und</strong>ärliteratur<br />

verwiesen: Krause, 2001; Baraldi/Corsi/Esposito, 1997; Gripp-Hagelstange, 1997; Krieger, 1996.<br />

15 Luhmann, 1993, 67, 165-187; Luhmann, 1990.<br />

16 Luhmann, 1984, 35-37.<br />

17 Krieger, 1996, 115-123.<br />

18 Baraldi/Corsi/Esposito, 1997, 64.<br />

19 Luhmann, 1993, 440-495.<br />

20 Krause, 2001, 59f.<br />

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