13.09.2013 Aufrufe

Psychiatrie und Strafjustiz

Psychiatrie und Strafjustiz

Psychiatrie und Strafjustiz

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Archiv für Neurologie <strong>und</strong> <strong>Psychiatrie</strong> (1919–1950) besonders hervorzuheben sind. Soweit es von der Fragestel-<br />

lung her sinnvoll erschien, wurde versucht, die schweizerische Literatur möglichst umfassend zu erschlies-<br />

sen. Bei der juristisch-psychiatrischen Literatur aus dem umliegenden Ausland wurde stattdessen von<br />

vornherein eine Auswahl getroffen. Andererseits wurde für die Untersuchungen zur schweizerischen<br />

Strafrechtsform auf die relevanten Bestände des Schweizerischen B<strong>und</strong>esarchivs sowie punktuell auf wei-<br />

tere Archivbestände zurückgegriffen. Ebenfalls konsultiert wurden Unterlagen aus dem Archiv der Schwei-<br />

zerischen Gesellschaft für <strong>Psychiatrie</strong> in Lausanne.<br />

Was die Ebene der Justizpraxis betrifft, wurde versucht einen möglichst vielschichtigen Quellenkorpus zu-<br />

sammenzustellen, der den unterschiedlichen Facetten des forensisch-psychiatrischen Praxisfelds Rechnung<br />

trägt. Ausgangspunkt für die Rekonstruktion der forensisch-psychiatrischen Praxis im Kanton Bern zwi-<br />

schen 1890 <strong>und</strong> 1920 bilden Gerichtsprotokolle <strong>und</strong> Untersuchungsakten des Berner Geschworenenge-<br />

richts (Bestand StAB BB 15.4). Wie die erwähnten Untersuchungen von Lengwiler <strong>und</strong> Schulte zeigen,<br />

ermöglichen Gerichtsakten einen umfassenden Zugang zu Medikalisierungsprozessen im Bereich der<br />

<strong>Strafjustiz</strong>, bilden sie doch gleichsam den Verlauf der Strafverfahren ab. Um der Selektivität des Berner<br />

Strafverfahrens Rechnung zu tragen, wurde in den Archiven der beiden grossen psychiatrischen Kliniken<br />

des Kantons, Waldau (Bern) <strong>und</strong> Münsingen, zusätzlich Fälle erschlossen, die aufgr<strong>und</strong> von psychiatri-<br />

schen Gutachten im Laufe des Untersuchungsverfahrens eingestellt wurden <strong>und</strong> somit in Gerichtsakten<br />

nicht dokumentiert sind. Der Rückgriff auf Krankenakten erlaubt zudem Aufschlüsse über den Ablauf der<br />

Begutachtungen in den Irrenanstalten. Aufgr<strong>und</strong> von Stichproben <strong>und</strong> anderen Selektionskriterien wurden<br />

insgesamt r<strong>und</strong> 100 Gutachtenfälle ausgewertet. Dazu kommt eine grössere Zahl von gedruckt vorliegen-<br />

den Gutachten. Kapitel 7.1 sowie Anhang 2 enthalten nähere Angaben zur Auswahl <strong>und</strong> Beschreibung<br />

dieses Quellenkorpus. Für die Rekonstruktion der Verwahrungspraxis im Kanton Bern wurden die ent-<br />

sprechenden Regierungsratsbeschlüsse zwischen 1895 <strong>und</strong> 1920 ausgewertet (Bestand StAB A II). Die in<br />

Kapitel 11 vorgenommene Analyse der 1943 in der Strafanstalt Witzwil eingerichteten psychiatrischen<br />

Sprechst<strong>und</strong>e beruht auf einem isolierten Gutachtenkorpus aus dem Bestand der Berner Polizeidirektion<br />

(Bestand StAB BB 4.2).<br />

1.4 Aufbau der Untersuchung<br />

Die Gliederung der vorliegenden Untersuchung erfolgt nach chronologischen <strong>und</strong> thematischen Ge-<br />

sichtspunkten. Im Zentrum des 1.Teils steht die Frage nach dem Stellenwert von Medikalisierungspostulaten bei<br />

der Genese <strong>und</strong> Reform des bürgerlichen Schuldstrafrechts im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert. Untersucht werden die Konstitution<br />

eines forensisch-psychiatrischen Praxisfelds im Umfeld der Durchsetzung des bürgerlichen Strafparadig-<br />

mas <strong>und</strong> der Etablierung der <strong>Psychiatrie</strong> als eigenständige Disziplin (Kapitel 2), die Entstehung neuer<br />

psychiatrischer Deutungsmuster kriminellen Verhaltens in der zweiten Jahrh<strong>und</strong>erthälfte <strong>und</strong> die Rolle<br />

von Medikalisierungspostulaten im Rahmen der internationalen Strafrechtsreformbewegung (Kapitel 3)<br />

<strong>und</strong> der schweizerischen Strafrechtsreform (Kapitel 4). Der 2.Teil ist der forensisch-psychiatrischen Praxis im<br />

Kanton Bern zwischen 1890 <strong>und</strong> 1920 gewidmet. Herausgearbeitet werden die rechtlichen, institutionellen <strong>und</strong><br />

wissenschaftlich-theoretischen Rahmenbedingungen (Kapitel 5) sowie die Entwicklungstendenzen der<br />

Begutachtungspraxis (Kapitel 6). Ein ausführliches Kapitel beschäftigt sich mit den Umständen psychiatri-<br />

scher Begutachtungen sowie mit der Analyse verschiedener psychiatrischer Deutungsmuster (Kapitel 7).<br />

Anhand der Verwahrungspraxis im Kanton Bern wird ebenfalls untersucht, wie durch die Medikalisierung<br />

kriminellen Verhaltens neue institutionelle Zugriffe auf StraftäterInnen geschaffen wurden. Der 3.Teil der<br />

Untersuchung befasst sich mit verschiedenen Aspekten der institutionellen <strong>und</strong> kognitiven Ausdifferenzierung der<br />

forensischen <strong>Psychiatrie</strong> in der Schweiz in der ersten Hälfte des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts. Analysiert werden zunächst die<br />

34

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!