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Psychiatrie und Strafjustiz

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tailberatungen der für die forensisch-psychiatrische Praxis relevanten Einzelbestimmungen analysiert.<br />

Anstatt die Ratsverhandlungen chronologisch zu verfolgen, werden einzelne Voten herausgegriffen, wel-<br />

che die Überlagerung von staats- <strong>und</strong> kriminalpolitischen Diskursen beispielhaft verdeutlichen. Ziel ist es,<br />

die unterschiedlichen Bedeutungsebenen <strong>und</strong> Konfliktlinien herauszuarbeiten, die mit der Politisierung<br />

der Strafrechtsreform verb<strong>und</strong>en waren.<br />

Rechtseinheit oder rechtlicher Partikularismus?<br />

Die Befürworter des Strafgesetzbuchs erhofften sich von der Strafrechtseinheit eine Stärkung der nationalen<br />

Einheit <strong>und</strong> eine effizientere Bekämpfung des Verbrechens. Beide Stossrichtungen sollten den Anfor-<br />

derungen einer modernen Gesellschaft Rechnung tragen. Bereits der B<strong>und</strong>esrat hatte in seiner Botschaft<br />

darauf hingewiesen, «dass gerade in diesen Zeiten, da wir gegen Überfremdung auf allen Gebieten klagen<br />

<strong>und</strong> ankämpfen, die Errichtung eines gemeinsamen, nationalen Werkes eine befreiende Tat sein wird, wie<br />

das Zivilgesetzbuch uns von trennenden fremden Einflüssen emanzipiert hat.» 1339 Auch der freisinnige<br />

Zürcher Ständerat Oskar Wettsein (1866–1952) stellte einen engen Konnex zwischen Rechtseinheit, nati-<br />

onaler Integration <strong>und</strong> Abgrenzung gegen Aussen her, als er auf die Volksabstimmung von 1898 hinwies:<br />

«Was trat denn in jenem Volksentscheid als leitender Gedanke hervor? Der Gr<strong>und</strong>gedanke, dass wenn wir<br />

Schweizer eine Nation sein wollen, wir auch ein gleiches Recht haben müssen. Der nationale Wille zeigt<br />

sich in der geschlossenen Wehrkraft nach aussen, nach innen zeigt er sich im gemeinsamen <strong>und</strong> gleichen<br />

Recht.» 1340 Die Strafrechtseinheit wurde in dieser Perspektive zu einem Prüfstein für eine schweizerisches<br />

Identität <strong>und</strong> eine wirkungsvolle Abgrenzung gegen Einflüsse von Aussen. Die Politisierung der Straf-<br />

rechtsdebatte vollzog sich hier an der Nahtstelle zum fremdenpolizeilichen «Überfremdungsdiskurs» der<br />

Zwischenkriegszeit. 1341 Die Befürworter erhofften sich von der Rechtseinheit aber nicht nur eine Stärkung<br />

der nationalen Identität, sondern auch des modernen Rechtsstaats, ging es doch nicht nur um ein «ge-<br />

meinsames», sondern auch um ein «gleiches» Strafrecht. So rückte der St. Galler Sozialdemokrat Johannes<br />

Huber (1879–1948) bewusst von einer ethnisch-kulturellen Konzeption der Nation ab: «Mir scheint, dass<br />

ein einheitliches Strafrecht, überhaupt eine Einheit des Rechtes, geradezu zum Begriff des Staates gehört.<br />

Denn was ist der Staat? Was ist er anderes als eine Rechtsgemeinschaft?» 1342 Auch der von den Räten hin-<br />

zugezogene Experte, der Jurist Paul Logoz (1888–1973), stellte die zu schaffende Rechtsgleichheit in den<br />

Vordergr<strong>und</strong> <strong>und</strong> betonte die Unsinnigkeit der bis anhin geltenden Konkurrenz der kantonalen Strafrech-<br />

te <strong>und</strong> der damit zusammenhängenden Ungleichheit bei der Beurteilung einzelner Straftaten. 1343 Die ange-<br />

führten Voten verdeutlichen, dass die Befürworter des Strafgesetzbuchs sowohl auf die Vorstellung einer<br />

essentiellen schweizerischen Identität, als auch auf die Konzeption der Nation als Rechtsgemeinschaft<br />

rekurrierten. Beide Argumentationsstränge verbanden sich letztlich im Bekenntnis zu einer Stärkung der<br />

B<strong>und</strong>eskompetenzen.<br />

Der politische Kampf für das Strafgesetzbuch wurde aber ebenso im Namen einer Effizienzsteigerung der<br />

<strong>Strafjustiz</strong> geführt. Die Befürworter griffen dabei zentrale Argumente der Schweizer Strafrechtsreformer<br />

wieder auf. Sowohl Parlamentarier, als auch Strafrechtsreformer sahen in der Vereinheitlichung des Straf-<br />

rechts eine unabdingbare Voraussetzung, um die Kriminalitätsbekämpfung den Anforderungen einer mo-<br />

dernen Verkehrsgesellschaft anzupassen: «Heute, da wir uns mehr denn je der grossen Gefahr der fort-<br />

schreitenden Kriminalität bewusst sein müssen, die sich namentlich auf interkantonalem <strong>und</strong> internationa-<br />

1339 BBl, 1918 IV, 101.<br />

1340 Sten. Bull. SR, 1931, 109.<br />

1341 Vgl. Mächler, 1998.<br />

1342 Sten. Bull. NR, 1928, 18.<br />

1343 Sten. Bull. NR, 1928, 67<br />

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