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Psychiatrie und Strafjustiz

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spielräume einräumte, erlaubte, sichernde Massnahmen gegen «abnorme» DelinquentInnen auch in nicht<br />

ärztlich geleiteten Anstalten zu vollziehen. Davon betroffen waren in erster Linie «PsychopathInnen»,<br />

denen die Psychiater keine oder nur geringe Heilungs- <strong>und</strong> Besserungschancen zugestanden. Solche De-<br />

linquentInnen konnten zwar aufgr<strong>und</strong> psychiatrischer Diagnosen stigmatisiert <strong>und</strong> auf unbestimmte Zeit<br />

verwahrt oder versorgt werden, sie erhielten jedoch kaum Zugang zu spezialisierten psychiatrischen Be-<br />

handlungsangeboten. Abgesichert wurde diese teilweise Demedikalisierung des Massnahmenvollzugs im<br />

Kanton Bern durch die Einrichtung psychiatrischer Sprechst<strong>und</strong>en in den Strafanstalten, die eine rudi-<br />

mentäre psychiatrische Versorgung <strong>und</strong> Beobachtung von «Problemfällen» im regulären Strafvollzug <strong>und</strong><br />

eine wirkungsvolle Kontrolle der von Fall zu Fall erfolgenden Vollzugsmassnahmen erlaubten. Das Berner<br />

Vollzugsmodell ist insofern bezeichnend für die Umsetzung der Strafrechtsreform in der Schweiz der<br />

unmittelbaren Nachkriegszeit, als es dazu primär auf die vorhandenen institutionellen <strong>und</strong> personellen<br />

Ressourcen zurückgriff <strong>und</strong> dadurch den (finanz-)politischen Handlungsbedarf auf ein Minimum reduzier-<br />

te.<br />

Es waren in erster Linie die Schwierigkeiten <strong>und</strong> Bedürfnisse der Anstaltspsychiatrie, welche die Diskussi-<br />

onen um die Auswirkungen des neuen Strafgesetzbuchs auf die Disziplin prägten. Fragen der institutionellen<br />

Ausdifferenzierung <strong>und</strong> Spezialisierung der forensischen <strong>Psychiatrie</strong> stiessen innerhalb der psychiatri-<br />

schen scientific community dagegen nur auf geringes Interesse. Dukors Votum für eine Kriminalpsychiatrie,<br />

die sich teilweise von den unmittelbaren Anforderungen der Begutachtungspraxis emanzipiert hätte,<br />

verblieb in der Schweiz weitgehend ungehört. Schweizer Psychiater, die sich im Bereich der Forensik en-<br />

gagierten, profilierten sich in erster Linie durch ihre Kompetenzen als Gerichtsgutachter <strong>und</strong> als Wissens-<br />

vermittler, jedoch weniger durch ihre Forschungstätigkeit. Zum Ausdruck kommt dieses Desinteresse an<br />

einer Verwissenschaftlichung der Forensik ebenfalls in Wyrschs Sprechst<strong>und</strong>entätigkeit in den Berner<br />

Strafanstalten. Der Verzicht auf spezialisierte Begutachtungs-, Verwahrungs- <strong>und</strong> Forschungszentren hatte<br />

letztlich zur Folge, dass der forensisch-psychiatrische Tätigkeitsbereich in der Deutschschweiz nach 1950<br />

in die Anstaltspsychiatrie integriert blieb <strong>und</strong> eine regelmässige <strong>und</strong> intensive Zusammenarbeit mit kanto-<br />

nalen Justizbehörden weiterhin zum festen Bestandteil der beruflichen Tätigkeit der meisten Schweizer<br />

Anstaltspsychiater gehörte. Ansätze zu einer institutionellen Ausdifferenzierung blieben demgegenüber<br />

Ausnahmen.<br />

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