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Psychiatrie und Strafjustiz

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cher Regierung, den Ball auf die eidgenössische Ebene zurückspielen zu können, allerdings insofern illuso-<br />

risch, als zur gleichen Zeit auf B<strong>und</strong>esebene die Weichen gestellt wurden, die immer weniger in Richtung<br />

spezieller forensisch-psychiatrischer Institutionen wiesen.<br />

Minimierung des Handlungsbedarfs: Das Gutachten Ris<br />

Mit dem Einsetzen der zweiten Expertenkommission im Frühjahr 1912 rückte die Realisierung der Straf-<br />

rechtsreform wieder in greifbare Nähe. Zugleich gewannen Fragen der Umsetzung der Reform neue Ak-<br />

tualität. Dies galt insbesondere für Fragen des Strafvollzugs. Die Strafrechtsreformer waren sich bewusst,<br />

dass die vorgesehene Zweispurigkeit von Strafen <strong>und</strong> Massnahmen weitgehende Auswirkungen auf den<br />

kantonal zu regelnden Strafvollzug haben würde. Obwohl der B<strong>und</strong>esrat 1898 auf eine Vereinheitlichung<br />

des Strafvollzugs verzichtet hatte, war allen Beteiligten klar, dass das neue Strafgesetzbuch die Kantone<br />

verpflichten würde, verschiedene neue Anstaltstypen wie Verwahrungsanstalten <strong>und</strong> Trinkerheilanstalten<br />

einzurichten sowie die bestehenden Straf- <strong>und</strong> Arbeitsanstalten den Anforderungen des Gesetzes anzu-<br />

passen. Bei Fachleuten, eidgenössischen <strong>und</strong> kantonalen Politikern stiessen deshalb Fragen des Strafvoll-<br />

zug auf reges Interesse. So forderte 1912 die Versammlung des Vereins für Straf-, Gefängniswesen <strong>und</strong> Schutz-<br />

aufsicht vom B<strong>und</strong>esrat einen Bericht über die für die Umsetzung der Strafrechtsreform benötigten Anstal-<br />

ten. 1258 Die B<strong>und</strong>esbehörden reagierten im Dezember 1912 mit dem Einsetzen einer Kommission für die<br />

Reform des Strafvollzugs unter der Leitung von B<strong>und</strong>esanwalt Otto Kronauer (1850–1922), die parallel<br />

zur zweiten Expertenkommission für das Strafgesetzbuch tätig werden sollte. Aufgabe der Kommission<br />

war es, Anforderungen an einen reformierten Strafvollzug festzulegen <strong>und</strong> die vorhandenen Anstalten auf<br />

ihre Tauglichkeit zur Durchführung des Straf- <strong>und</strong> Massnahmenvollzugs zu evaluieren. Schliesslich sollte<br />

die Kommission ein «Programm für die Durchführung der Reform» auszuarbeiten <strong>und</strong> Aufschluss über<br />

die politische Umsetzung der Reform <strong>und</strong> über die anfallenden Kosten geben. 1259 An ihrer ersten Sitzung<br />

teilte sich die Kommission auf vier Subkommissionen auf, die sich jeweils mit einen Bereich des Strafvoll-<br />

zugs beschäftigen sollten. Fragen der Verwahrung geistesgestörter DelinquentInnen fielen dabei in den<br />

Aufgabenbereich der Subkommission B. Deren Arbeitsprogramm bestand aus einem Fragekatalog über<br />

die Art <strong>und</strong> Grösse der vorhandenen Heil- <strong>und</strong> Pflegeanstalten sowie über die Art der dort verwahrten<br />

Personen sowie die praktizierte Unterbringung. Namentlich hatte die Subkommission abzuklären, ob die<br />

Leiter der Heil- <strong>und</strong> Pflegeanstalten eine «Absonderung der gemeingefährlichen, kriminellen Kranken in<br />

Spezialpavillons oder sonstigen Annexen zu Irren- oder Strafanstalten» befürworteten. 1260 Die Subkom-<br />

mission übertrug die Beantwortung dieser Fragen dem Direktor der Rheinau, Friedrich Ris, der als einzi-<br />

ger Psychiater der Kommission angehörte. Das Gutachten, das Ris im August 1914 ablieferte, stellte<br />

schliesslich nicht nur die Position seines Autors dar, sondern erhielt den Status einer offiziellen Stellung-<br />

nahme der Schweizer Psychiater über die seit der Jahrh<strong>und</strong>ertwende auch in der Schweiz kontrovers dis-<br />

kutierte Frage der Unterbringung von geistesgestörten Straftätern.<br />

Ris unterschied in seinem Gutachten zwischen zwei Gruppen geistesgestörter StraftäterInnen. 1261 Bei einer<br />

ersten Gruppe «ausgesprochen Geisteskranker» biete weder die Erkennung noch die Frage der Behand-<br />

lung grosse Schwierigkeiten. Unter Verweis auf seine Erfahrungen aus der Begutachtungspraxis unter-<br />

strich Ris, dass Meinungsverschiedenheiten unter Richtern, Ärzten <strong>und</strong> Verwaltungsbehörden in solchen<br />

1258 Verhandlungen des Schweizerischen Vereins für Straf-, Gefängnisverein <strong>und</strong> Schutzaufsicht, 1912, 30-38.<br />

1259 Verfügung des schweizerischen Justiz- <strong>und</strong> Polizeidepartements vom 3. Dezember 1912, in: Expertenkommission, 1912/ Beilagenband,<br />

1-6.<br />

1260 Expertenkommission, 1912/Beilagenband, 148.<br />

1261 Das Gutachten ist vollständig abgedruckt in: Expertenkommission, 1912/Beilagenband, 186-200. Das mit der Druckfassung identische<br />

Original des Gutachtens sowie Stellungnahmen von verschiedenen Anstaltsdirektoren befinden sich in: BAR E 4110 (A) -<br />

/42, Bd. 92.<br />

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