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Psychiatrie und Strafjustiz

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werden muss.» 1389 Wie Hoppeler bei der Behandlung der actio libera in causa sah Grünenfelder in übermäs-<br />

sigem Alkoholkonsum eine an sich schuldhafte Verhaltensweise. Konsequenterweise bekam für ihn die<br />

Behandlung den Charakter einer zusätzlichen Strafe. Trotz dieser Opposition überwogen im Nationalrat<br />

aber die Stimmen, die sich für eine Priorität der Behandlung aussprachen.<br />

Nicht auf Zustimmung stiess der Beschluss des Nationalrats in der Ständeratskommission. Vor dem Rats-<br />

plenum nahm der Kommissionssprecher, der Appenzeller Freisinnige Johannes Baumann (1874–1953),<br />

die Argumentation Grünenfelders wieder auf: «Es widerspricht dem Empfinden weiter Volkskreise, wenn<br />

der Gewohnheitstrinker, der in zurechnungsfähigem Zustand [...] ein Verbrechen begeht, mit einer Kur in<br />

einer Heilanstalt davon kommt, während der normale <strong>und</strong> mässige Täter die volle Schwere des Gesetzes<br />

<strong>und</strong> der Strafe zu tragen hat. [...] Die Berücksichtigung des Schuldmoments, das ja gerade einen Vorzug<br />

des Entwurfs bildet, verlangt dass in allen Fällen zuerst die Freiheitsstrafe abgesessen wird.» 1390 Der Stän-<br />

derat verwarf die Fassung des Nationalrats mit grosser Mehrheit <strong>und</strong> beharrte damit auf der Priorität der<br />

Strafe. Um die nun zwischen den Räten bestehende Differenz entspann sich ein jahrelanges Tauziehen.<br />

Der Nationalrat akzeptierte 1933 einen Kompromissvorschlag, welcher der Strafe im Regelfall die Priorität<br />

einräumte, dem Richter aber zugleich die Möglichkeit gab, im Einzelfall die Behandlung anstelle der Strafe<br />

anzuordnen. 1391 Der Ständerat vermochte diesem Kompromiss schliesslich zuzustimmen. 1392<br />

Der Ständerat erweiterte den Massnahmenkatalog des Strafgesetzbuchs jedoch in eine andere Richtung.<br />

Bereits in der Ständeratskommission war die Frage aufgetaucht, ob die Bestimmung über die Zwangsbe-<br />

handlung von «Gewohnheitstrinkern» auch auf Rauschgiftsüchtige auszuweiten sei. 1393 Nach dem Einho-<br />

len einer Stellungnahme eines Psychiaters stimmte der Rat schliesslich der Schaffung einer entsprechenden<br />

Ergänzung zu. 1394 Mit seinem Beschluss betrat der Ständerat Neuland. Zwar hatte das Parlament 1924 im<br />

Zeichen einer breit abgestützten gesellschaftlichen Sensibilisierung gegenüber den «neuen» Rauschmitteln<br />

Kokain <strong>und</strong> Morphium ein Betäubungsmittelgesetz verabschiedet, das die Herstellung <strong>und</strong> den Handel<br />

von Drogen unter Strafe stellte, <strong>und</strong> auch das internationale Opiumabkommen ratifiziert. In diesem Zu-<br />

sammenhang war jedoch von einer Zwangsbehandlung von Süchtigen noch keine Rede gewesen. 1395 Hans<br />

W. Maier bedauerte denn auch 1926 in seiner Studie Der Kokainismus das Fehlen einer gesetzlichen Mög-<br />

lichkeit für solche Zwangsbehandlungen. 1396 Nach dem Entscheid des Ständerats stellte sich die Frage der<br />

Angemessenheit einer solchen Massnahme plötzlich in einem neuen Licht. Auf Wunsch der Nationalrats-<br />

kommission unternahm das Justizdepartements deshalb 1932 eine Umfrage bei verschiedenen gerichts-<br />

medizinischen Instituten <strong>und</strong> kantonalen Polizeidirektionen über ihre Erfahrungen im Umgang mit krimi-<br />

nell gewordenen Rauschgiftsüchtigen. 1397 Die Antworten ergaben eine breite Zustimmung zur vorgeschla-<br />

genen Regelung, wenngleich den angeschriebenen Instituten <strong>und</strong> Behörden Erfahrungen auf diesem Ge-<br />

biet weitgehend fehlten. So begrüsste Maier namens der Schweizerischen Gesellschaft für <strong>Psychiatrie</strong> die Berück-<br />

sichtigung der Rauschgiftsucht im Strafgesetzbuch. Eine entsprechende Behandlung habe aber, so Maier,<br />

unbedingt in geschlossenen psychiatrischen Anstalten zu erfolgen, wobei die Prognosen für eine Heilung<br />

1389 Sten. Bull. NR, 1928, 695.<br />

1390 Sten. Bull. SR, 1931, 289.<br />

1391 Sten. Bull. NR, 1933, 844-846.<br />

1392 Sten. Bull. SR, 1936, 171.<br />

1393 BAR E 4110 (A) -/42, Band 69, Protokoll der Kommission des Ständerats betreffend das schweizerische Strafgesetzbuch, 8.-<br />

9. Juli 1929, 25. Februar 1930. Die Stellungnahme des Psychiaters Henri Preisig ist zitiert in: Sten. Bull. SR, 1931, 291.<br />

1394 Sten. Bull. SR, 1931, 291-294.<br />

1395 Tanner, 1990, 410.<br />

1396 Maier, 1926.<br />

1397 BAR E 4110 (A) -/42, Band 78, Kreisschreiben des EJPD, 15. September 1932.<br />

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