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Psychiatrie und Strafjustiz

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Tabelle 6: Zusammenstellung der Begutachtungsanlässe (Anzahl Begutachtungen)<br />

Anordnung der Begutachtungen in der Voruntersuchung (Untersuchungsbehörden) 68<br />

Ärztliche Atteste / Frühere Klinikaufenthalte 15<br />

Verhalten der Angeschuldigten in der Strafuntersuchung 14<br />

Aussagen von Zeugen 14<br />

Verhalten der Angeschuldigten in der Untersuchungshaft 8<br />

Diverse (Tatumstände, eigene Aussagen, Anträge der Verteidigung [1]) 7<br />

Keine eindeutigen Angaben 10<br />

Anordnung der Begutachtungen im Hauptverfahren (Gerichtsbehörden)<br />

Anträge der Verteidigung 7<br />

Eigene Beobachtungen des Gerichts 3<br />

Total 78<br />

Die Anlässe für Begutachtungen unterscheiden sich demnach deutlich, ob diese in der Voruntersuchung<br />

oder im Hauptverfahren angeordnet worden sind. Da sich Begutachtungsanlässe im Stadium der Vorun-<br />

tersuchung komplexer ausnahmen, wird im Folgenden zunächst auf diese eingegangen.<br />

Bei den ausgewerteten 68 Fallbeispiele, wo die Begutachtung während der Voruntersuchung angeordnet<br />

wurde, lassen sich grob vier Arten von Begutachtungsanlässen unterscheiden, die sich im Einzelfall aller-<br />

dings überschneiden konnten. 779 In 15 Fällen (22%) gab ein den Untersuchungsbehörden vorliegendes<br />

ärztliches Attest oder Hinweise auf frühere Aufenthalte in einer Irrenanstalt Anlass für den Begutach-<br />

tungsauftrag. In jeweils 14 Fällen (jeweils 20%) bewogen das Verhalten des Angeschuldigten bei der Ein-<br />

vernahme, respektive Aussagen von Zeugen aus dessen Umfeld die Untersuchungsbehörden, ein psychiat-<br />

risches Gutachten einzuholen. In acht Fällen (12%) gab das Verhalten des Angeschuldigten in der Untersuchungshaft<br />

den Ausschlag für die Begutachtung. In weiteren sieben Fällen veranlassten die Tatumstän-<br />

de, eigene Aussagen des Angeschuldigten sowie Anträge der Verteidigung die Behörden, eine psychiatri-<br />

sche Begutachtung anzuordnen. In zehn Fällen lassen sich aufgr<strong>und</strong> der verfügbaren Quellen die Begut-<br />

achtungsanlässe nicht eindeutig eruieren. Die Aufschlüsselung der Begutachtungsanlässe zeigt, dass zu-<br />

mindest in der Phase der Voruntersuchung offensichtliche Strategien der Angeschuldigten <strong>und</strong> deren Ver-<br />

teidiger, eine Begutachtung zu veranlassen, um so eine Strafmilderung zu bewirken, eine untergeordnete<br />

Rolle spielten. 780 Eine Ausnahme stellte demnach der Fall von Emil B. dar, gegen den 1908 wegen Raubes<br />

ermittelt wurde. In seinem Fall verlangte der Verteidiger bei den Justizbehörden die Anordnung eines<br />

Gutachtens: «[...] als ein Verrückter kann B. wohl kaum angesehen werden. Aber beim längeren Verkehr<br />

mit ihm sind mir an ihm mehr <strong>und</strong> mehr gewisse Symptome aufgefallen, die ich nicht anders als, denn als<br />

mentale, psychopathische Defekte erklären kann[...].» Emil B. selbst hatte in der Untersuchungshaft die<br />

Überzeugung geäussert, «ein Psychiater von Fach, dem er seinen Zustand auseinandersetzen könnte, wür-<br />

779 Manser, 1932, 15-21, führt in seiner Untersuchung der Gutachten aus dem Burghölzli ähnliche ausschlaggebende Momente an:<br />

Tatbestand, Vorgeschichte des Angeklagten, fragwürdige Aussagen bei der Einvernahme, abnormes Verhalten vor dem Untersuchungsrichter,<br />

abnormes Verhalten während der Haft.<br />

780 Zu einem andern Schluss kommt Lengwiler, 2000, 249, 253, bei der Untersuchung der Rolle psychiatrischer Begutachtungen in<br />

der bayerischen Militärjustiz. Ebenfalls betont wird die zentrale Rolle der Verteidigung beim Veranlassen psychiatrischer Begutachtungen<br />

im Zusammenhang mit der Anwendung der Todesstrafe in der ersten Hälfte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts von Martschukat,<br />

2000, 161, 168-171, 179, 182, 227.<br />

10<br />

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