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Psychiatrie und Strafjustiz

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tion. Bei Peter L. lösten im Gegenzug bereits Ansätze zu einer Medikalisierung des eigenen kriminellen<br />

Verhaltens Denormalisierungsängste <strong>und</strong> Furcht vor einer drohenden unbefristeten Verwahrung aus.<br />

Angesichts der vielfältigen Möglichkeiten einer Inanspruchnahme des Sprechst<strong>und</strong>enangebots durch die<br />

Anstaltsinsassen, erstaunt die relative Seltenheit, mit der Wyrsch in seinen Berichten auf Fälle ausgespro-<br />

chener Simulation hinwies. Um einen solchen Fall handelte es sich beim 19jährigen Robert W., der wegen<br />

Unzucht mit Kindern <strong>und</strong> Diebstahl nach Witzwil eingewiesen worden war <strong>und</strong> zwischen 1946 <strong>und</strong> 1948<br />

mehrmals von Wyrsch untersucht wurde. Vor seiner Einweisung nach Witzwil war Robert W. in der Er-<br />

ziehungsanstalt Tessenberg versorgt gewesen <strong>und</strong> wurde von dort aus bereits einmal in Münsingen begut-<br />

achtet. Im März 1946 beklagte er sich gegenüber Wyrsch über «Verfolgungsideen». Gott würde mit ihm<br />

sprechen, wenn er nachts allein in seiner Zelle sei. Dann käme jeweils eine «weisse Wolke», die aussehe<br />

wie eine «weise Gestalt mit rotem Kopf <strong>und</strong> roten Händen». Gott sage ihm, er solle mit den Leuten in die<br />

Wüste <strong>und</strong> nach Süden auswandern, um Busse zu tun. Auch seine Delikte habe er auf Befehl Gottes be-<br />

gangen. Wyrsch hielt von diesen Klagen nicht viel; sie hörten sich als «unecht <strong>und</strong> erf<strong>und</strong>en» an, eine Ver-<br />

setzung in die Irrenanstalt sei deshalb auf keinen Fall angebracht. Zudem habe Robert W. mit einer ähnli-<br />

chen Erzählung bereits seine frühere Versetzung nach Münsingen bewirkt, wo die angeblichen Symptome<br />

dann sofort verschw<strong>und</strong>en seien. Wyrsch verneinte bei Robert W. das Vorliegen einer Geisteskrankheit<br />

<strong>und</strong> bezeichnete dessen Symptome als «bewusste Simulation». 1617 Einen Monat später berichtete Wyrsch<br />

der Anstaltsleitung, dass Robert W. weiterhin den «Anschein eines Geisteskranken» erwecken wolle. Als er<br />

ihm aber auf den Kopf zugesagt habe, dass er simuliere, habe Robert W. seine «Pose» aufgegeben. Dar-<br />

aufhin sei dieser in seinem Benehmen «viel freier <strong>und</strong> offener» geworden. Allerdings würde er nun von<br />

einem verschluckten Nagel sprechen, für den eine Palpation jedoch keine Anzeichen gäbe. Der Anstalts-<br />

leitung riet Wyrsch, Robert W. nicht auszulachen, <strong>und</strong> ihm den «Rückzug aus der Simulation» zu erleich-<br />

tern. 1618 Im April 1947 rapportierte Wyrsch, dass Robert W. ein Versetzungsgesuch eingereicht habe, mit<br />

dem er von Witzwil fortzukommen hoffe. Einsichtiger sei er allerdings seit der letzten Untersuchung nicht<br />

geworden, «was ja bei seiner Art [...] nicht überraschend ist». 1619 Im März 1948 bekannte Robert W. ge-<br />

genüber dem Psychiater, dass seine Erscheinungen von 1946 «zusammensimuliertes Zeug» gewesen seien.<br />

Dementsprechend positiv fiel nun der psychiatrische Bericht aus: «W. scheint tatsächlich nachgereift zu<br />

sein, [...] <strong>und</strong> der Eindruck ist jetzt bedeutend besser als früher. Immerhin ist er noch keine gefestigte<br />

Persönlichkeit, die es versteht, sich selber zu bestimmen, sondern er braucht Führung <strong>und</strong> Fürsorge.» 1620<br />

Im August desselben Jahres kam Robert W. jedoch wieder mit «schlechter Laune» in die Sprechst<strong>und</strong>e.<br />

Wyrsch sah darin einen Beweis, dass der «Stimmungswandel» vom Frühjahr nur deshalb erfolgt sei, weil<br />

sich Robert W. eine positive Empfehlung für sein Entlassungsgesuch erhofft habe. Robert W. drohte nun,<br />

aus Witzwil durchzubrennen <strong>und</strong> jemanden niederzuschlagen, «dann bekäme man seine 15 Jahre, während<br />

er jetzt gar nie wisse, wann er frei komme». Diese Drohungen hatten zur Folge, dass Wyrsch Robert W.<br />

wieder deutlich ungünstiger beurteilte: «Kurz, W. erweist sich als der unreife Schwachsinnige, als der er<br />

früher schon beurteilt wurde, der, so gut er es versteht, aus der Anstalt fortkommen möchte, wobei er mit<br />

Durchbrennen, mit Simulation, mit körperlichen Beschwerden, mit ‹Wohlverhalten› <strong>und</strong> mit Drohungen<br />

versuchsweise abwechselt. Er ist an sich vermutlich nicht so schlimm, wie er dergleichen tut, er ist nicht<br />

gerade ein leichter <strong>und</strong> aussichtsvoller Fall.» 1621<br />

1617 StAB BB 4.2, Band 180, Bericht über Robert W. an die Strafanstalt Witzwil, 22. März 1946.<br />

1618 StAB BB 4.2, Band 180, Bericht über Robert W. an die Strafanstalt Witzwil, 26. April 1946.<br />

1619 StAB BB 4.2, Band 180, Bericht über Robert W. an die Strafanstalt Witzwil, 24. März 1947.<br />

1620 StAB BB 4.2, Band 180, Bericht über Robert W. an die Strafanstalt Witzwil, 25. März 1948.<br />

1621 StAB BB 4.2, Band 180, Bericht über Robert W. an die Strafanstalt Witzwil, 18. August 1948.<br />

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