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Psychiatrie und Strafjustiz

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des eidgenössische Gesetzes aus: «Malgré les imperfections du Code pénal suisse, il est dans son ensemble,<br />

une œuvre magistrale. Il s’inspire des idées des psychiatres sur la répression et surtout sur la prophylaxie<br />

de la criminalité. Il réalisera une étroite collaboration entre juges et psychiatres sur tout le territoire suis-<br />

se.» 1441 Über das deutliche Votum der Standesorganisation hinaus, unterstützten führende Psychiater wie<br />

Hans W. Maier, Jakob Klaesi oder John E. Staehelin (1891–1969) die Abstimmungskomitees in ihren<br />

Kantonen. 1442 Der Abstimmungskampf wurde vielerorts derart hart geführt, dass sich die Behörden zum<br />

Einschreiten gezwungen sahen. Die Berner Regierung griff zum Mittel der Zensur, als sie drei gegnerische<br />

Plakate verbot, welche mit der Naziparole «Ein Volk, ein Recht, ein Führer?» gegen die Rechtseinheit<br />

polemisierten. 1443 Bereits im Vorfeld des Abstimmungskampfs hatten zudem verschiedene Westschweizer<br />

Kantone aus Angst vor einer nationalen Krise vom B<strong>und</strong>esrat eine Verschiebung der Abstimmung gefor-<br />

dert. Der B<strong>und</strong>esrat hielt jedoch am Abstimmungsdatum vom 3. Juli 1938 fest. 1444<br />

Nach einem langen <strong>und</strong> intensiven Abstimmungskampf nahmen die männlichen Stimmbürger am 3. Juli<br />

1938 das schweizerische Strafgesetzbuch knapp mit 358’438 gegen 321’030 Stimmen an. Abgelehnt wurde<br />

die Vorlage in den Kantonen Uri, Schwyz, Obwalden, Nidwalden, Glarus, Zug, Freiburg, Appenzell AR,<br />

St. Gallen, Graubünden, Tessin, Waadt, Wallis, Neuenburg <strong>und</strong> Genf. Das Strafgesetzbuch hätte somit<br />

das Ständemehr nicht geschafft. Allerdings fiel die Ablehnung in einigen Kantonen weniger deutlich als<br />

erwartet aus. So stimmten im Kanton Waadt, dem Zentrum der föderalistischen Opposition, knapp<br />

26’000 (31%) Stimmberechtigte für das Strafgesetz. 1445 Ein Vergleich mit der Abstimmung über die<br />

Rechtseinheit von 1898 zeigt, dass die Kantone Glarus, Zug, St. Gallen, Graubünden, Tessin, Waadt,<br />

Neuenburg, Genf, welche seinerzeit der Verfassungsgr<strong>und</strong>lage zugestimmt hatten, sich nun im Lager der<br />

Gegner befanden. 1446 Das Abstimmungsresultat widerspiegelt auf den ersten Blick die gegenüber 1898<br />

markant verstärkten föderalistischen Strömungen in der Westschweiz, die sich mit dem traditionellen Ab-<br />

wehrreflex der katholischen Schweiz verbinden konnten. Wie die vorliegende Analyse zeigt, war diese<br />

Allianz jedoch keine Selbstverständlichkeit, sondern Resultat eines politischen Prozesses, in dessen Ver-<br />

lauf kriminalpolitische Differenzen unter den Gegnern gezielt ausgeblendet wurden. Dass die Abstim-<br />

mung vom 3. Juli 1938 nicht auf die Gegenüberstellung von Zentralisten <strong>und</strong> Föderalisten reduziert wer-<br />

den kann, bemerkte nach der Abstimmung bereits die Neue Zürcher Zeitung: «Mit einer solchen Schwarz-<br />

Weiss-Technik werden einmal alle jene nicht erfasst, die sich nicht auf das politische Gebiet abdrängen lies-<br />

sen, sondern die Frage so beantworteten, wie sie gestellt war, nämlich nach der kriminalpolitischen Eignung<br />

des vorgelegten Gesetzesentwurfes.» 1447<br />

Fazit: Strafrechtsreform <strong>und</strong> die schweizerische Politik der Zwischenkriegszeit<br />

Die Politisierung der Strafrechtsreform modifizierte die Ausrichtung der Strafrechtsdebatte massgeblich.<br />

In den Expertenkommissionen sowie den psychiatrisch-juristischen Diskussionen der Jahrh<strong>und</strong>ertwende<br />

hatte die kriminalpolitische Frage nach einer teilweisen Medikalisierung des Strafrechts im Zentrum ge-<br />

standen. Innerhalb des politischen Feldes verlagerten sich die Diskussionsschwerpunkte jedoch zuneh-<br />

mend auf die staatsrechtliche Gr<strong>und</strong>satzfrage der Rechtseinheit. Nachdem sich die staats- <strong>und</strong> kriminalpo-<br />

litischen Konfliktlinien in der Parlamentsdebatte noch überlagert hatten, gelang es der föderalistischen<br />

Opposition im Abstimmungskampf, kriminalpolitische Fragen weitgehend zu marginalisieren. Die Rele-<br />

1441 SLB VCH 2574, Protokoll der Schweizerischen Gesellschaft für <strong>Psychiatrie</strong>, 1938, 9.<br />

1442 NZZ, 15. Juni 1938; Der B<strong>und</strong>, 23. Juni 1938; National Zeitung, 15. Juni 1938.<br />

1443 Tribune de Genève, 1. Juli 1938.<br />

1444 BAR E 1004. 1 (-), Band 372, B<strong>und</strong>esratsbeschluss, 14. April 1938.<br />

1445 BBl 1938 II, 546f.<br />

1446 BBl 1898, 463.<br />

1447 NZZ, 4. Juli 1938 (Nachträgliche Hervorhebungen durch den Autor).<br />

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