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Psychiatrie und Strafjustiz

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Psychiater als kriminalpsychologische Forscher uns nicht mit den Fällen begnügen, die uns zur Begutach-<br />

tung zugewiesen werden, sondern wir werden den Verbrecher überall da aufsuchen, wo er zu finden ist: in<br />

den Gerichtsakten, sowohl wie in den Straf- <strong>und</strong> Versorgungsanstalten, um so für unsere kriminalpsycho-<br />

logische Studien [...] ein möglichst vielfältiges <strong>und</strong> auslesefreies Material zu gewinnen.» 1553 Mittels systema-<br />

tischer Aktensichtung sollte es, so Dukor, möglich sein, die Ursachen der Kriminalität in einer verallge-<br />

meinerten Form zu identifizieren <strong>und</strong> einzelne Tätertypen herauszuarbeiten. Ähnlich wie einst Aschaffen-<br />

burg unterschied Dukor dementsprechend zwischen einem allgemeinen Teil der Kriminalpsychologie, der<br />

mittels statistischer Methoden die endo- <strong>und</strong> exogenen Faktoren der Kriminalität bestimmen sollte, sowie<br />

einen speziellen Teil, der sich der Analyse von Einzelfällen widmen sollte. 1554 Nicht näher äusserte sich<br />

Dukor in seinem Referat dagegen über die organisatorische Einbindung der propagierten «Verbrecherkli-<br />

nik» in bestehende psychiatrische Institutionen. Dukor umging damit eine Stellungnahme zu der gleichzei-<br />

tig stattfindenden Diskussion über eine institutionelle Ausdifferenzierung der forensischen <strong>Psychiatrie</strong>.<br />

Dukors programmatische Forschungsstrategie, die letztlich auf das Konstituieren einer spezialisierten <strong>und</strong><br />

weitgehend autonomen Wissenschaftsdisziplin hinauslief, welche in der forensisch-psychiatrischen Begut-<br />

achtungspraxis nur mehr einen nützliche Datenlieferanten sah, griff vor allem Ansätze der deutschen<br />

Kriminalpsychiatrie auf. Obwohl Arbeiten deutscher Kriminalpsychiater <strong>und</strong> Kriminologen wie Gustav<br />

Aschaffenburg oder Franz Exner (1881–1947) in der Vor- <strong>und</strong> Zwischenkriegszeit auch in der Schweiz<br />

rezipiert worden waren, beschritt Dukor mit seinem programmatischen Referat von 1944 insofern Neu-<br />

land, als eine von der gerichtspsychiatrischen Begutachtungspraxis losgelöste kriminalpsychiatrische oder<br />

kriminologische Forschung hierzulande kaum Traditionen aufweisen konnte. Wesentliche Impulse für ein<br />

in der Schweiz bisher unbekanntes Mass an fachlicher Spezialisierung erhoffte sich Dukor von der Straf-<br />

rechtseinheit, die mit einer «Intensivierung der Beziehungen zwischen Strafrecht <strong>und</strong> <strong>Psychiatrie</strong>» einher-<br />

gehen würde. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass Dukors Referat von 1944 in der<br />

scientific community weitgehend auf Gleichgültigkeit stiess. Offenbar erwiesen sich in der Schweiz forensisch-<br />

psychiatrische Forschungsansätze, die über die bekannten Probleme der Anstaltspsychiatrie im Zusam-<br />

menhang mit der Einführung des Strafgesetzbuchs hinausgingen, kaum als resonanzfähig. Möglicherweise<br />

spielte dabei aber auch der Umstand eine Rolle, dass Dukors Forschungsstrategien nebst der inhaltlichen<br />

Ausrichtung auch den Wissenschaftsstil der deutschen Kriminalpsychiatrie in die Schweiz exportieren<br />

wollten, welcher die gerichtspsychiatrische Gutachtertätigkeit mit dem systematischen Erfassen <strong>und</strong> Auswerten<br />

von Aktenmaterial im Hinblick auf kriminalpolitische Zielsetzungen verknüpfte. Dass dies ange-<br />

sichts der sich 1944 voll im Gang befindende Abgrenzung der Schweizer <strong>Psychiatrie</strong> von der NS-Bio- <strong>und</strong><br />

Rassenpolitik keineswegs unproblematisch war, liegt auf der Hand. 1555 Ebenfalls zum Desinteresse der<br />

Disziplin beigetragen haben dürfte jedoch der Umstand, dass das von Dukor propagierte umfassende<br />

Sammeln von Aktenmaterial einen beträchtlichen Forschungsaufwand bedeutete, der für die meisten<br />

Schweizer Anstaltspsychiater nebst ihrer Gutachtertätigkeit kaum zu bewältigen gewesen sein dürfte.<br />

1553 Dukor, 1945, 452f.<br />

1554 Dukor, 1945, 453f.<br />

1555 Vgl. Ritter, 2000. Auf diesen Aspekt verweisen ebenfalls die laufenden Forschungen Hans Jakob Ritters zum Basler Psychiater<br />

<strong>und</strong> Eugeniker Carl Brugger.<br />

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