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Psychiatrie und Strafjustiz

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Die von Dukor im Bereich des Zivilrechts erprobte <strong>und</strong> auch für das Strafrecht propagierte Forschungs-<br />

<strong>und</strong> Publikationsstrategie situierte sich somit explizit im Schnittpunkt zwischen Begutachtungspraxis <strong>und</strong><br />

Rechtspolitik. Gr<strong>und</strong>lage dieser Strategie war eine systematische Erfassung <strong>und</strong> Auswertung des Aktenma-<br />

terials, das aufgr<strong>und</strong> psychiatrisch-juristischer Kooperationen entstanden war. Voraussetzung dazu war<br />

freilich, dass sich Justiz- <strong>und</strong> Fürsorgebehörden bereit zeigten, zu einem solchen sek<strong>und</strong>ären Datentrans-<br />

fer Hand zu bieten. Zumindest im Fall von Dukors Eheverbotsstudie stellte dies allerdings kaum ein<br />

Problem dar. 1550 Die kriminalpolitische Dimension von Dukors Forschungsstrategie erschliesst sich aller-<br />

dings erst unter Berücksichtigung von dessen Position im Streit um die Frage, ob sich psychiatrische<br />

Sachverständige explizit zur Frage der Zurechnungsfähigkeit äussern sollten. Wie in Kapitel 9.2 erwähnt,<br />

befürwortete Dukor als einer der wenigen Schweizer Psychiater noch in den 1940er Jahren eine gänzliche<br />

Trennung medizinischer <strong>und</strong> rechtlicher Aspekte in der Begutachtungspraxis .1551 Dadurch verschloss er<br />

sich zugleich der etwa von Hans W. Maier propagierten Strategie, durch gezielte Empfehlungen zuhanden<br />

der Gerichtsbehörden Kriminalpolitik zu betreiben. Kriminalpolitische Anliegen liessen sich in den Augen<br />

Dukors lediglich auf dem Weg der Gesetzgebung, nicht aber über die Gerichtspraxis verwirklichen. Ange-<br />

sicht dieser «sterilen Haltung» (Hans Binder) erscheint Dukors Postulat für «Monographien gesetzeskom-<br />

mentierender Art» als eine Möglichkeit, kriminalpolitische Anliegen durch die Erfahrungen der gerichts-<br />

psychiatrischen Praxis zu legitimieren, ohne dadurch den Anspruch auf die wissenschaftliche Unabhängig-<br />

keit der Sachverständigen preiszugeben. Dukor schaltete zwischen Begutachtungspraxis <strong>und</strong> Kriminalpoli-<br />

tik gleichsam eine Ebene der kriminalpsychiatrischen Forschung ein, die es erlaubte, Sachverständigenaus-<br />

sagen <strong>und</strong> kriminalpolitische Positionsbezüge gegenseitig zu immunisieren. Damit verb<strong>und</strong>en war eine<br />

Autonomisierung der forensisch-psychiatrischen Forschung von den unmittelbaren Belangen der Begu-<br />

tachtungs- <strong>und</strong> Massnahmenpraxis, aber auch eine umso explizitere Indienstnahme der wissenschaftlichen<br />

Forschung für kriminalpolitische Anliegen.<br />

Die Art von Monographien, die Dukor 1944 propagierte, fand allerdings im Bereich des Strafrechts kaum<br />

Nachahmer. Etwas mehr Resonanz war ihr dagegen in den Bereichen des Fürsorge- <strong>und</strong> Zivilrechts be-<br />

schieden. Besonders zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang die Monographien Hans Binders Die<br />

uneheliche Mutterschaft (1941) <strong>und</strong> Die Urteilsfähigkeit in psychologischer, psychiatrischer <strong>und</strong> juristischer Sicht (1964).<br />

Dukor selbst ergänzte seine Habilitation zum Eherecht später durch die Monographie Die Lösung der Ehe<br />

wegen psychischer Störungen (1941).<br />

Dukor forderte in seinem Referat von 1944 ebenfalls das Etablieren der forensischen <strong>Psychiatrie</strong> als Lehr-<br />

fach an den Universitäten <strong>und</strong> stellte dafür ein eigentliches Unterrichtsprogramm auf. Der propagierte<br />

kriminalpsychologische Unterricht sollte sich sowohl an angehende Mediziner, als auch an Juristen <strong>und</strong><br />

Strafvollzugsbeamte richten. Dazu griff Dukor auf das 1914 von Gustav Aschaffenburg skizzierte Projekt<br />

einer «Verbrecherklinik» zurück, wobei der Unterricht allerdings in Form einer «gesprochenen Klinik»<br />

stattfinden sollte. 1552 Was den Bereich der Forschung anbelangte, wollte sich Dukor keineswegs mit den<br />

erwähnten «Monographien gesetzeskommentierender Natur» begnügen, sondern plädiert für die Definiti-<br />

on <strong>und</strong> Abgrenzung einzelner «Tätertypen». Gr<strong>und</strong>lage dazu sollte wiederum eine systematische retro-<br />

spektive Erfassung <strong>und</strong> Auswertung der forensisch-psychiatrischen Begutachtungspraxis mittels Gerichts-<br />

<strong>und</strong> Patientenakten bieten. Damit verb<strong>und</strong>en war die Forderung nach einer zunehmenden Abstraktion des<br />

forensisch-psychiatrischen Wissens von konkreten Begutachtungsfällen: «Selbstverständlich werden wir<br />

1550 Vgl. Dukor, 1939, 189f. Solche sek<strong>und</strong>äre Wissenstransfers zu Forschungszwecken zwischen Behörden <strong>und</strong> Psychiatern<br />

lassen sich bis ins letzte Viertel des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts feststellen; vgl. Leimgruber/Meier/Sablonier, 1998, 65f.<br />

1551 Dukor, 1938, 230f.; Dukor, 1945a, 297.<br />

1552 Dukor, 1945, 446-449, 456f.<br />

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