13.09.2013 Aufrufe

Psychiatrie und Strafjustiz

Psychiatrie und Strafjustiz

Psychiatrie und Strafjustiz

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Wissensvermittlung per Lehrbuch: Jakob Wyrsch<br />

Weniger auf die Konstituierung der forensischen <strong>Psychiatrie</strong> als Wissenschaftsdisziplin als auf die diszip-<br />

linübergreifende Vermittlung forensisch-psychiatrischen Wissens zielten die Spezialisierungsbestrebungen<br />

des mehrheitlich in Bern tätigen Psychiaters Jakob Wyrsch ab. Wyrsch wollte mit seinen Vermittlungsstra-<br />

tegien, die in der 1946 erschienenen Gerichtlichen <strong>Psychiatrie</strong> kulminierten, einen Beitrag zur Konsolidierung<br />

der Beziehungen zwischen <strong>Psychiatrie</strong> <strong>und</strong> <strong>Strafjustiz</strong> leisten, der sich in seinen Augen nach der Einfüh-<br />

rung des neuen Strafgesetzbuchs mehr denn je aufdrängte. Denn bis zur Einführung des Strafgesetzbuchs<br />

existierte kein Lehrbuch der forensischen <strong>Psychiatrie</strong>, das ausführlich auf die Besonderheiten der schwei-<br />

zerischen Rechtsnormen <strong>und</strong> -sprechung Bezug genommen hätte. Dieser Mangel war nicht zuletzt die<br />

Folge des schweizerischen Rechtspartikularismus, der eine systematische Bearbeitung der für die forensi-<br />

sche <strong>Psychiatrie</strong> im Bereich des Strafrechts relevanten Rechtsmaterialien zu einer aufwändigen Aufgabe<br />

machte. Lediglich ein Kapitel von Eugen Bleulers mehrfach aufgelegtem Lehrbuch der <strong>Psychiatrie</strong> befasste<br />

sich mit Problemen der forensischen <strong>Psychiatrie</strong>. Interessierte Schweizer Juristen <strong>und</strong> Psychiater waren<br />

deshalb gezwungen, zu Lehrbüchern aus dem umliegenden Ausland zu greifen, etwa zum 1934 in dritter<br />

Auflage erschienenen Handbuch der gerichtlichen <strong>Psychiatrie</strong> von Alfred Hoche (1856–1944) <strong>und</strong> Gustav<br />

Aschaffenburg. Angesichts dieses Defizits spielte in den 1930er Jahren bereits der Direktor des Burghölzli,<br />

Hans W. Maier, mit dem Gedanken ein Lehrbuch zur forensischen <strong>Psychiatrie</strong> zu verfassen, das den spe-<br />

zifischen schweizerischen Begebenheiten Rechnung tragen sollte. 1556 Dieses Projekt blieb jedoch unvoll-<br />

endet, so dass der Leitfaden der forensischen <strong>Psychiatrie</strong> von Herbert Binswanger aus dem Jahren 1945 zum<br />

ersten in der Schweiz erschienenen Lehrbuch der forensischen <strong>Psychiatrie</strong> wurde. Binswangers Leitfaden<br />

enthielt zunächst allgemeine Ausführungen zur Psychopathologie <strong>und</strong> zur Untersuchungstechnik, um<br />

danach die einzelnen psychiatrischen Krankheits- <strong>und</strong> Zustandsbilder sowie deren forensischen Konse-<br />

quenzen ausführlich darzustellen. 1557<br />

Umfassender als Binswangers Leitfaden fiel dagegen Wyrschs Gerichtliche <strong>Psychiatrie</strong> aus, die in der frühen<br />

Nachkriegszeit eine weite Verbreitung unter Schweizer Juristen <strong>und</strong> Psychiatern finden sollte. 1558 Der aus<br />

der Innerschweiz stammende Jakob Wyrsch war seit 1934 an der Waldau als Oberarzt <strong>und</strong> ab 1940 als<br />

stellvertretender Chefarzt tätig, zuvor hatte er die Luzerner Anstalt St. Urban geleitet. Bereits Wyrschs<br />

Antrittsvorlesung als Privatdozent an der Universität Bern beschäftigte sich mit forensisch-psychiatrischen<br />

Problemen. Wie für Dukor machten auch für Wyrsch Begutachtungsaufgaben einen wichtigen Teil seiner<br />

beruflichen Tätigkeit aus. Wie in Kapitel 11.4 zu zeigen sein wird, war Wyrsch zudem nach 1943 massgeb-<br />

lich am Aufbau eines psychiatrischen Sprechst<strong>und</strong>endiensts in den Berner Strafanstalten beteiligt. Auch<br />

nach seinem Rücktritt an der Waldau im Jahre 1952 blieb Wyrsch ein gefragter Gerichtsgutachter <strong>und</strong><br />

verfasste bis 1979 über 1000 straf- <strong>und</strong> zivilrechtliche Gutachten, namentlich im Auftrag der Justizbehör-<br />

den der Innerschweizer Landkantone. 1559 Die 1946 erschienene Gerichtliche <strong>Psychiatrie</strong> war sowohl für ange-<br />

hende Juristen, als auch für Mediziner gedacht. Durch die Vermittlung der Gr<strong>und</strong>lagen von <strong>Psychiatrie</strong><br />

<strong>und</strong> Rechtsk<strong>und</strong>e sollte das Buch zum gegenseitigen Verständnis der beiden Disziplinen beitragen.<br />

Wyrsch behandelte zunächst die verschiedenen psychiatrischen Krankheitsbilder, anschliessend gab er<br />

einen Überblick über die in forensisch-psychiatrischer Hinsicht relevanten Gesetzesbestimmungen. Das<br />

Buch wurde ergänzt durch ein Glossar der wichtigsten psychopathologischen Ausdrücke. Die Gerichtliche<br />

<strong>Psychiatrie</strong> kann insofern als eine Antwort auf die Einführung des Strafgesetzbuchs betrachtet werden, als<br />

1556 Arnold, 1992, 17f.<br />

1557 Binswanger, 1945.<br />

1558 Wyrsch, 1946.<br />

1559 Neiger, 1985, 45f.; Wyrsch, 1938.<br />

378

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!