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Psychiatrie und Strafjustiz

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das Beschwören der föderalistischen Gr<strong>und</strong>lagen der Schweiz definitiv die Parteigrenzen überschreiten<br />

<strong>und</strong> zu einem Topos der nationalen Gemeinschaftssemantik werden.<br />

Der definitive Entscheid über die Strafrechtseinheit innerhalb der Katholisch-Konservativen erfolgte am<br />

Parteitag der Konservativen Volkspartei vom 22. Mai 1938 in Luzern. Der St. Galler Nationalrat Grünen-<br />

felder plädierte vor den Delegierten für eine Unterstützung der Vorlage. Das Strafgesetzbuch sei ein<br />

«Werk der Verständigung», das vielen Forderungen von katholisch-konservativer Seite entgegenkomme.<br />

Es sei vor allem «[...] ein Schuldstrafrecht, nicht ein deterministisches Versorgungs- <strong>und</strong> Sicherungsmass-<br />

nahmenrecht nach kriminalsoziologischer Schule». Grünenfelder bestritt den gängigen Vorwurf, die Straf-<br />

rechteinheit trage den kantonalen Traditionen nicht Rechnung. Im abschliessenden Votum berief er sich<br />

auf die Gemeinschaftssemantik der «Geistigen Landesverteidigung» <strong>und</strong> die Erhöhung der Rechtssicher-<br />

heit: «Die Einheit des materiellen Rechts ist ein wesentlicher Faktor der geistigen Landesverteidigung, der<br />

Pflege verdient, wie er den Willen zum Nationalen stärkt. Rechtseinheit bedeutet Sammlung der Kräfte,<br />

Erhöhung der Rechtssicherheit <strong>und</strong> des Rechtsgefühls, Vergrösserung des der Gesellschaft schuldigen<br />

Schutzes.» 1416 Die Gegner der Vorlage vertrat der Freiburger Ständerat Joseph Piller (1890–1954), der das<br />

Gesetz sowohl aus kriminal-, als auch aus staatspolitischen Überlegungen ablehnte. Piller wiederholte im<br />

Wesentlichen die gegnerischen Argumente aus der Parlamentsdebatte. So kritisierte er, dass die Bestim-<br />

mungen über die verminderte Zurechnungsfähigkeit zu allzu milden Urteilen führen müssten. Piller sah<br />

eine natürliche Allianz zwischen den Katholisch-Konservativen <strong>und</strong> der Westschweiz: «Da wir selber eine<br />

Minderheit sind, vermögen wir besser als andere die Rücksichten zu verstehen, die man jenen schuldet, die<br />

weder die Zahl noch die Masse haben, <strong>und</strong> die diese Ausfälle durch eine viel intensivere Wahrung ihrer<br />

Eigenart <strong>und</strong> Persönlichkeit ausgleichen müssen.» 1417 Die Delegierten der Volkspartei lehnten die Straf-<br />

rechtseinheit überraschend deutlichen ab. 1418 Seit der Schlussabstimmung in den Räten hatte die ableh-<br />

nende Position somit zusätzlich an Boden gewonnen. 1419 Noch deutlicher als die Parlamentsdebatte zeigen<br />

die Parteitagsreden, dass seitens der Katholisch-Konservativen weniger die kriminalpolitische Konzeption<br />

des Strafgesetzbuchs, als vielmehr die Rechtseinheit Gegenstand der Opposition war. Mit ihrer ablehnen-<br />

den Parole zur Strafrechtseinheit scherten die Konservativen somit in einer wichtigen Frage aus dem<br />

«Bürgerblock» aus <strong>und</strong> kehrten zu einem Oppositionsverhalten aus der Zeit des Kulturkampfs zurück.<br />

Die Kampagne gegen das Strafgesetzbuch führte die beiden politisch unterschiedlich ausgerichteten Blö-<br />

cke näher zusammen. Auf Betreiben der Ligue vaudoise hatte die Regierung des Kantons Waadt Vertreter<br />

der Kantone Schwyz, Uri, Freiburg, Wallis <strong>und</strong> Genf für den 12. Juni 1938 zu einer grossen K<strong>und</strong>gebung<br />

nach Lausanne eingeladen. 1420 In den Hallen der Comptoir beschworen die eingeladenen Politiker vor gros-<br />

sem Publikum eine Allianz zwischen der Suisse primitive <strong>und</strong> der Romandie im Zeichen der «Wiedergeburt<br />

des traditionellen Föderalismus». Dies geschah allerdings mit unterschiedlichen Stossrichtungen. Der<br />

Waadtländer Nationalrat Fréderic Fauqueux (1898–1976) sah beispielsweise im Föderalismus eine histori-<br />

sche Reaktion auf den Einheitsstaat der Französischen Revolution. Der Schwyzer Landammann bezog<br />

sich in seiner Ansprache dagegen auf die katholische Soziallehre, die eine von der Familie bis zum Staat<br />

reichende hierarchische Gesellschaftsordnung postulierte. 1421 Bezeichnend für diese Voten war das voll-<br />

ständige Fehlen einer Auseinandersetzung mit kriminalpolitischen Fragen. Die symbolische Inszenierung<br />

1416 BAR J.2.181 (-) 1987/52, Band 27, Die Gesetzesvorlage für das schweizerische Strafrecht. Referat von Nationalrat E. Grünenfelder.<br />

1417 Piller, 1938, 19f.<br />

1418 Vgl. Vaterland, 23. Mai 1938 (177 Nein gegen 52 Ja, bei 6 leeren Stimmen).<br />

1419 Vgl. Rölli-Alkemper, 1993, 234f.<br />

1420 Vgl. Bütikofer, 1996, 297-300; Schild, 1970, 138-140.<br />

1421 Vgl. Gazette de Lausanne, 13./14. Juni 1938.<br />

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