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Psychiatrie und Strafjustiz

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Die Berner Regierung war indes keineswegs bereit, von den positiven Erfahrungen der bisherigen Voll-<br />

zugspraxis abzurücken. In einem weiteren Beschluss hielt sie fest: «[...] denn die Erfahrungen der letzten<br />

50 Jahre lehren einerseits, dass zu verwahrende Unzurechnungsfähige <strong>und</strong> vermindert Zurechnungsfähige,<br />

die nicht in Anstalten für Geisteskranke gehören, am besten in Arbeitsanstalten gehalten werden, <strong>und</strong><br />

andererseits, dass die bernischen Arbeitsanstalten, so wie sie sich bis heute entwickelten, in der Behand-<br />

lung dieser Leute Erfolg nachweisen können.» Da zudem die Voraussetzungen für eine Aufhebung der<br />

Massnahme noch nicht erfüllt seien, hielt der Regierungsrat an seinem ursprünglichen Einweisungsbe-<br />

schluss fest. 1470 Gottlieb K. gelangte daraufhin ein zweites Mal an den B<strong>und</strong>esrat, der im April 1947 be-<br />

fand, «dass als Pflegeanstalten im Sinne des Gesetzes Epileptikeranstalten, Irrenanstalten, Krankenanstalten,<br />

Sanatorien, Pflegeheime für alte oder gebrechliche Leute anzusehen sind.» Es sei folglich nicht gestat-<br />

tet, «einen nicht pflegebedürftigen <strong>und</strong> nicht unter Art. 42 Fallenden einer unbestimmten Verwahrung<br />

über den Umweg des Art. 14 zu unterwerfen.» Der Berner Regierungsrat sei zudem nicht kompetent, «das<br />

richterliche Urteil abzuändern oder so zu vollziehen, dass der Vollzug einer Abänderung gleichkommt.»<br />

Allenfalls wäre Keller nach vollzogener Strafe auf administrativem Wege zu verwahren. In Bezug auf den<br />

strittigen Artikel 10 der kantonalen Verordnung vom 12. Dezember 1941 hielt der B<strong>und</strong>esrat fest: «Diese<br />

Bestimmung lässt sich jedoch bezüglich den Begriff der Pflegeanstalt angesichts des Wortlautes des Straf-<br />

gesetzbuches nicht halten.» Im Gegensatz zu seinem ersten Beschluss wies der B<strong>und</strong>esrat die Berner Re-<br />

gierung nun direkt an, Keller in eine Pflegeanstalt zu versetzen oder die Massnahme aufzuheben. 1471 Die-<br />

ser war allerdings bereits kurz vor diesem Beschluss erneut begutachtet <strong>und</strong> daraufhin bedingt entlassen<br />

worden. 1472<br />

Die zeitgenössischen Kommentatoren waren sich der Tragweite des b<strong>und</strong>esrätlichen Entscheids sehr wohl<br />

bewusst, stand doch hinter dem juristischen Geplänkel um die von Gottlieb K. geforderte Versetzung die<br />

Gr<strong>und</strong>satzfrage über die Zulässigkeit einer teilweisen Demedikalisierung des neuen Massnahmenvollzugs.<br />

Durften unzurechnungsfähige oder vermindert zurechnungsfähige DelinquentInnen, denen die Psychiater<br />

keine Therapiechancen zugestanden <strong>und</strong> zugleich aber deren «Gefährlichkeit» postulierten, aufgr<strong>und</strong> Arti-<br />

kel 14 des Strafgesetzbuchs verwahrt werden? Damit verknüpft war die für die Anstaltspsychiatrie ent-<br />

scheidende Frage, ob solche StraftäterInnen in nicht ärztlich geleitete Anstalten abgeschoben werden durf-<br />

ten. So meinte ein Berner Gerichtspräsident nach dem Entscheid des B<strong>und</strong>esrats, dass die Arbeitsanstal-<br />

ten von St. Johannsen <strong>und</strong> Hindelbank wohl kaum als Pflegeanstalten deklariert werden konnten, die Verordnung<br />

vom 12. Dezember 1941 sei «daher rechtswidrig». 1473 Auch der vom B<strong>und</strong>esrat konsultierte Straf-<br />

rechtsprofessor Philipp Thormann hatte festgestellt, dass die Berufung des Regierungsrats auf Artikel 10<br />

der Verordnung vom Dezember 1942 zwar «formell» korrekt sei, sie liesse sich allerdings «angesichts des<br />

Wortlauts des StGB’s nicht halten.» 1474 Vor allem Vertreter des Strafvollzugs <strong>und</strong> der <strong>Psychiatrie</strong> beharrten<br />

dagegen darauf, den praktischen Anforderungen der Vollzugspraxis stärker Rechnung zu tragen. So be-<br />

dauerte der Direktor der Strafanstalt Witzwil, dass «auf Gr<strong>und</strong> des b<strong>und</strong>esrätlichen Entscheides im Falle<br />

K. neue Mittel <strong>und</strong> Wege gesucht werden müssen, die vielleicht nicht den gewünschten Erfolg zeitigen,<br />

<strong>und</strong> dies einzig, um theoretischen Gesetzesauslegungen Genüge zu leisten.» Wie zuvor die Berner Regie-<br />

rung verwies er auf den Erfolg der bisherigen Praxis <strong>und</strong> lehnte den bei einer Praxisänderung notwendi-<br />

gen Bau besonderer Abteilungen für geistesgestörte Verwahrte an Strafanstalten ab. 1475 Auch ein Berner<br />

1470 BAR E 4110 (A) -/32, Band 21, Auszug aus dem Protokoll des Regierungsrats des Kantons Bern,, 7. Januar 1947.<br />

1471 BAR E 1004. 1 (-), Band 480, B<strong>und</strong>esratsbeschluss, 26. April 1947; ZStrR, 62, 1947, 399-401.<br />

1472 Wyrsch, 1953, 36.<br />

1473 Strebel, 1947, 227, Fussnote 4.<br />

1474 BAR E 4110 (A) -/32, Band 21, Schreiben Thormanns an die Eidgenössische Justizabteilung, 7. April 1947.<br />

1475 Kellerhals, 1948, 296.<br />

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