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Psychiatrie und Strafjustiz

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wie bei den Gutachten – die verwahrten Straftäterinnen einen massiv höheren Anteil an «konstitutionellen<br />

Störungen» auf als die entsprechende Männergruppe. 1149<br />

Tabelle 8: Vergleich der Delikte bei sichernden Massnahmen <strong>und</strong> Gutachten (Angaben in Prozent)<br />

Deliktgruppen Sichernde Massnahmen Gutachten<br />

1. Delikte gegen das Leben 16,0 14,5<br />

2. Misshandlungen <strong>und</strong> Drohungen 17,1 10,1<br />

3. Delikte gegen die Sittlichkeit 17,1 15,1<br />

4. Brandstiftungen 21,4 17,8<br />

5. Delikte gegen das Vermögen 23,5 27,7<br />

6. Diverse 4,9 14,8<br />

100 (187) 1150 100 (365)<br />

Bezüglich der begangenen Delikte lässt sich feststellen, dass im Vergleich zur allgemeinen Begutachtungs-<br />

praxis Misshandlungen, Brandstiftungen <strong>und</strong> Sittlichkeitsdelikte bei sichernden Massnahmen eine grössere<br />

Rolle spielten. Eine leicht geringfügigere Bedeutung kam dagegen den Vermögensdelikten zu. Innerhalb<br />

der drei untersuchten Fünfjahresperioden nahm jedoch der Anteil der Vermögensdelinquenten konstant<br />

zu. 1896–1900 hatten sich 7,9% der StraftäterInnen, gegen die sichernde Massnahmen beantragt wurden,<br />

Vermögensdelikte zuschulden lassen. 1912–1916 betrug deren Anteil 31,8%. Die Berner Justizbehörden<br />

beantragten demnach nach der Jahrh<strong>und</strong>ertwende zunehmend auch gegen EigentumsdelinquentInnen<br />

sichernde Massnahmen. Diese Entwicklung zeigt, dass sichernde Massnahmen keineswegs auf Delinquen-<br />

tInnen beschränkt waren, deren Straftaten sich gegen Leib <strong>und</strong> Leben richteten. Auffallend ist schliesslich,<br />

dass bei den sichernden Massnahmen die Residualkategorie beträchtlich geringer ausfällt. Die in Tabelle 8<br />

zusammengefassten Ergebnisse werden zusätzlich nuanciert, wenn die Geschlechtszugehörigkeit berück-<br />

sichtigt wird. Männer wurden im Vergleich zur allgemeinen Begutachtungspraxis häufiger im Fall von<br />

Misshandlungen <strong>und</strong> Delikten gegen die Sittlichkeit <strong>und</strong> das Leben verwahrt. 1151 Frauen wurden dagegen<br />

häufiger im Fall von Brandstiftungen verwahrt. 1152<br />

Eindeutige «Profile» von «gemeingefährlichen» Delinquenten lassen sich aufgr<strong>und</strong> dieser Auswertungen<br />

nicht eruieren. Wie die Begutachtungs- deckte auch die Massnahmenpraxis das ganze Spektrum kriminel-<br />

len Verhaltens ab. Insbesondere beschränkten sich Anträge auf sichernde Massnahmen nicht auf Tatbe-<br />

stände wie Delikte gegen das Leben oder Brandstiftungen, die von einer älteren juristischen Terminologie<br />

als «gemeingefährliche Verbrechen» bezeichnet wurden. 1153 Dennoch lassen sich verschiedene Trends<br />

ausmachen, die ebenfalls geschlechtsspezifisch kodiert waren. Bei beiden Geschlechtern lassen sich bei<br />

sichernden Massnahmen signifikante Prävalenzen von Diagnosen mit einem höheren psychiatrischen<br />

Krankheitswert (Gruppen der angeborenen <strong>und</strong> einfachen Störungen) ausmachen. In Bezug auf die be-<br />

gangenen Delikte wurden Männer tendenziell häufiger bei Misshandlungen, Sittlichkeitsdelikten <strong>und</strong> De-<br />

likte gegen das Leben, Frauen deutlich häufiger bei Brandstiftungen verwahrt.<br />

1149 Konstitutionelle Störungen bei Anträgen auf sichernde Massnahmen (Gutachten): Männer: 17,6% (22,0%), Frauen: 50%<br />

(54,9%).<br />

1150 In einem Fall fehlen Angaben zum begangenen Delikt.<br />

1151 Sichernde Massnahmen gegen Männer (Gutachten): Misshandlungen: 20,4% (11,3%); Delikte gegen die Sittlichkeit: 21,1%<br />

(18,4%); Delikte gegen das Leben: 13,8% (11,9%). Diese Prävalenzen gehen grösstenteils zu Lasten der Residualkategorie.<br />

1152 Sichernde Massnahmen gegen Frauen (Gutachten): Brandstiftungen: 42,9% (23,6%). Diese Prävalenz geht grösstenteils zu<br />

Lasten der Residualkategorie.<br />

1153 Vgl. Göring, 1915, 1.<br />

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