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Psychiatrie und Strafjustiz

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Unabhängig von der Verwirklichung konkreter Reformanliegen bewirkte die europaweite Strafrechtsde-<br />

batte eine nachhaltige Sensibilisierung des Justizsystems gegenüber Fragen der Medikalisierung <strong>und</strong> Prä-<br />

vention kriminellen Verhaltens. In den Augen der Strafrechtsreformer war eine einvernehmliche Zusam-<br />

menarbeit von Juristen <strong>und</strong> Psychiatern in der Justizpraxis eine wesentliche Voraussetzung für das Zu-<br />

standekommen der Strafrechtsreform. F<strong>und</strong>amentale Lernprozesse im Bereich der Kriminalpolitik wirkten<br />

aber auch über verschiedene Kanäle auf die Ebene der Justizpraxis zurück. Dies war nicht zuletzt das<br />

Resultat der im Rahmen der IKV geknüpften internationalen <strong>und</strong> nationalen Netzwerke. Das Herausbil-<br />

den eines interdisziplinären juristisch-psychiatrischen Diskussionszusammenhangs, der sich im deutschsprachigen<br />

Raum in Zeitschriften wie der von Aschaffenburg <strong>und</strong> von Liszt gemeinsam herausgegebenen<br />

Monatsschrift für Kriminalpsychologie <strong>und</strong> Strafrechtsreform oder den Juristisch-psychiatrischen Grenzfragen sowie in der<br />

Gründung von lokalen juristisch-psychiatrischen Vereinigungen institutionalisierte, bewirkte, dass sich<br />

auch ohne gesetzliche Veränderungen die Beziehungen zwischen <strong>Strafjustiz</strong> <strong>und</strong> <strong>Psychiatrie</strong> zunehmend<br />

entspannten. Bis zum Ersten Weltkrieg löste das Leitbild einer arbeitsteiligen Kriminalitätsbewältigung<br />

durch <strong>Strafjustiz</strong> <strong>und</strong> <strong>Psychiatrie</strong> die traditionellen Antagonismen zwischen den beiden Disziplinen weit-<br />

gehend ab. 344 Auch traditionalistische Juristen wie der erwähnte Karl Binding waren schliesslich bereit, in<br />

einer pragmatischen Medikalisierung kriminellen Verhaltens ein Mittel zur Steigerung der Effizienz der<br />

<strong>Strafjustiz</strong> zu sehen. 345 Dieser Trend zur Kooperation zwischen den beiden Bezugssystemen war letztlich<br />

das Resultat von Lernprozessen, an deren Ausgangspunkt die Feststellung die Reformbedürftigkeit des<br />

herkömmlichen Schuldstrafrechts stand <strong>und</strong> die sowohl auf der Ebene der Rechtspolitik, als auch im Ge-<br />

richtsalltag zu einer ausgeweiteten Medikalisierung kriminellen Verhaltens führten.<br />

344 Lengwiler, 2000, 237; Wetzell, 2000, 79.<br />

345 Frommel, 1991, 478f.<br />

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