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Psychiatrie und Strafjustiz

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eichen konnte. In der Gruppe der «konstitutionellen Störungen» waren seit 1895 die psychiatrisch neu<br />

erschlossenen Zustandsbilder wie «Psychopathie», «moralischer Schwachsinn», aber auch traditionelle<br />

Krankheitsformen wie «Hysterie», bei denen eine konstitutionelle Ursache angenommen wurde, zusam-<br />

mengefasst. Zur Gruppe der «einfachen Störungen» wurden die relativ klar abgegrenzten (endogenen)<br />

psychotischen Störungen wie Manie, Melancholie oder Dementia praecox gezählt. 736<br />

Die allgemeine Entwicklung der Diagnosen<br />

Tabelle 1: Verteilung der gestellten Diagnosen (Angaben in Prozent)<br />

Diagnosegruppen 1887–1891 1896–1900 1906–1910 1912–1916 Total<br />

1. Angeborene Störungen 13,3 10,0 23,3 14,5 16,5<br />

2. Konstitutionelle Störungen 13,3 24,3 31,0 32,8 28,3<br />

3. Einfache Störungen 40,0 25,7 23,3 26,7 26,9<br />

4. Organische Störungen 2,3 2,8 2,3 3,8 2,9<br />

5. Epilepsie 11,1 10,0 4,7 6,1 6,9<br />

6. Intoxikationspsychosen 11,1 8,6 7,7 6,9 8,0<br />

7. Nicht geisteskrank 8,9 18,6 7,7 9,2 10,4<br />

100 (45) 100 (70) 100 (129) 100 (131) 100 (375)<br />

Tabelle 1 zeigt die Verteilung der 375 untersuchten Diagnosen auf die einzelnen Gruppen. Insgesamt<br />

machten die drei Gruppen der «angeborenen», «konstitutionellen» <strong>und</strong> «einfachen Störungen» 71,7% aller<br />

gestellten Diagnosen aus. «Einfache» <strong>und</strong> «konstitutionelle Störungen» wurden bei je einem guten Viertel<br />

der ExplorandInnen diagnostiziert. Die «angeborenen Störungen» waren mit 16,5% bereits schwächer<br />

vertreten. Darauf folgen mit 10,4% die Fälle ohne festgestellte Geistesstörungen. Teilweise deutlich weni-<br />

ger als zehn Prozent machten die übrigen drei Gruppen aus. Das hier ausgewertete Datenmaterial weicht<br />

in einigen Punkten von zeitgenössischen Datenerhebungen ab. Die Auswertung der Gutachten aus dem<br />

Zeitraum von 1883 bis 1900, die Steiger in seiner Dissertation von 1901 vornahm, ergab ungefähr identi-<br />

sche Anteile für die Gruppen der «angeborenen Störungen» (17,4%) <strong>und</strong> der «einfachen Störungen»<br />

(25,7%). Hingegen sind bei die «konstitutionellen Störungen» mit 13,2% <strong>und</strong> die Fälle ohne Störung mit<br />

4,7% markant geringer, die Gruppe der Epilepsie <strong>und</strong> der «Intoxikationen» mit 19,4%, respektive 16,0%<br />

deutlich stärker vertreten. 737 Eine Zusammenstellung der in Münsingen zwischen 1895 <strong>und</strong> 1927 abgegebenen<br />

strafrechtlichen Gutachten kommt für die drei bedeutendsten Gruppen zu folgenden Ergebnissen:<br />

«Schwachsinn»: 29,8%; «Psychopathie»: 19%; «Einfache Psychosen»: 20,8%. 738 Solche Differenzen legen<br />

gewisse Vorbehalte bei der Betrachtung der angeführten Ergebnisse nahe. Diese beruhen auf der Auswer-<br />

tung der in den Jahresberichten zuerst genannten Diagnosen <strong>und</strong> auf der Zuordnung dieser Diagnosen<br />

zum administrativen Klassifikationsraster der Berner Irrenanstalten. Steiger machte seine Auswertung<br />

dagegen auf der Gr<strong>und</strong>lage der Gutachten selbst. So liessen sich etwa abweichenden Zuordnungen bei<br />

Mehrfachdiagnosen wie «epileptischer Psychopath» erklären. Die Zusammenstellung von 1927 erfasst<br />

dagegen einen deutlich längeren Zeitraum. Auch sind darin nur die Gutachten der Anstalt Münsingen,<br />

nicht jedoch diejenigen der beiden andern Berner Irrenanstalten enthalten. Näher an die Verteilung, wie<br />

sie die Tabelle wiedergibt, kommen hingegen die überlieferten Angaben zu den Gutachten aus dem Burg-<br />

736 Vgl. Kp. 5.3.<br />

737 Steiger, 1901, 13.<br />

738 Jb. Waldau, 1927, 37.<br />

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