13.09.2013 Aufrufe

Psychiatrie und Strafjustiz

Psychiatrie und Strafjustiz

Psychiatrie und Strafjustiz

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

chung anzuordnen <strong>und</strong> nur er wird den Zeitpunkt einigermassen bestimmen können, wo man hoffen darf,<br />

dass der Verwahrte sich in derart günstigem Sinne entwickelt hat, dass man ihn ohne allzu grosse Gefähr-<br />

dung der Allgemeinheit wieder auf freien Fuss entlassen darf.» 1527<br />

Briner war mit seiner Forderung nach einem medizinisch kontrollierten Vollzug der Verwahrung der<br />

kompromissloseste Verfechter einer konsequenten Medikalisierung des Massnahmenvollzugs. Ebenfalls<br />

im Frühjahr 1943 plädierte er als einer der wenigen Schweizer Psychiater für den Bau von eigens zu die-<br />

sem Zweck bestimmten Anstalten <strong>und</strong> griff dabei den von Morgenthaler <strong>und</strong> Garnier 1938 gemachten<br />

Vorschlag wieder auf. Da Briner den Vollzug der Verwahrung aufgr<strong>und</strong> Artikel 14 in einer nicht ärztlich<br />

geleiteten Anstalt ausschloss <strong>und</strong> die bestehenden Irrenanstalten nicht über genügend Sicherungs- <strong>und</strong><br />

Disziplinarmittel verfügten, gab es für ihn nur den Vollzug in einer speziellen Anstalt. Diese Anstalt müsse<br />

zwar eine in sich geschlossene sein, müsse aber idealerweise in der Nähe einer bestehenden psychiatri-<br />

schen Anstalt liegen. Briner rechnete für die ganze Schweiz mit zwei bis drei solcher Anstalten, die insge-<br />

samt 300 bis 400 «kriminelle <strong>und</strong> besonders gefährliche Kranke» aufnehmen würden. Achtzig bis neunzig<br />

Prozent der Betten sollten für Männer, der Rest für Frauen zur Verfügung stehen. Briners Vorschlag ging<br />

aber noch weiter. Um die Anstaltsärzte von forensisch-psychiatrischen Gutachtenaufträge zu entlasten,<br />

schlug Briner vor, an den neuen Verwahrungsanstalten auch die Begutachtungstätigkeit zu konzentrieren:<br />

«Dadurch, dass die ärztliche Leitung der zu errichtenden Verwahrungsanstalt einem auf forensisch-<br />

psychiatrischem Gebiet erfahrenen Facharzt übertragen würde, könnten die jetzigen psychiatrischen An-<br />

stalten von einem Teil der Begutachtungen entlastet <strong>und</strong> dieselben der betreffenden ärztlichen Leitung<br />

übertragen werden.» 1528 Zugleich sollten die neuen Verwahrungsanstalten auch der Forschung <strong>und</strong> dem<br />

akademischen Unterricht dienen: «Durch das reichhaltigere Krankenmaterial wird es in Zukunft mehr<br />

noch als es bereits jetzt in den psychiatrischen Universitätsinstituten geschah, möglich sein, die Studieren-<br />

den in die mannigfachen Probleme der forensischen <strong>Psychiatrie</strong> <strong>und</strong> der speziellen Psychopathologie ein-<br />

zuführen <strong>und</strong> ihnen Fälle aus allen Gebieten des Strafrechts zu demonstrieren.» 1529<br />

Wie die Vorschläge von Nationalrat Gabuzzi im Rahmen der Expertenkommission von 1912 oder von<br />

Garnier <strong>und</strong> Morgenthaler wies Briners Projekt über eine Medikalisierung des Massnahmenvollzugs hin-<br />

aus in Richtung eines spezialisierten forensisch-psychiatrischen Zentrums, das alle Funktionen der forensi-<br />

schen <strong>Psychiatrie</strong> – Begutachtung, Massnahmenvollzug, Forschung <strong>und</strong> Lehre – vereint hätte. Damit wäre<br />

ein in der Schweiz bisher unbekannter Grad an institutioneller Ausdifferenzierung <strong>und</strong> wissenschaftlicher<br />

Spezialisierung der forensischen <strong>Psychiatrie</strong> verwirklicht worden. Angesichts seiner Tragweite erstaunt es,<br />

wie wenig Resonanz der Vorschlag in der psychiatrischen scientific community fand. Zwar gingen verschiede-<br />

ne Psychiater auf das Projekt ein, jedoch nur um es gleich wieder zu verwerfen. 1530 Diese geringe Reso-<br />

nanz zeigt, wie schwierig es angesichts des akuten Problemdrucks, mit dem sich die Psychiater konfron-<br />

tiert sahen, die Verfolgung einer konsequenten Medikalisierungsstrategie hatte. Spätestens nach der Ta-<br />

gung der Schweizerischen Gesellschaft für <strong>Psychiatrie</strong> im Juni 1944 verlegte sich die Mehrheit der Schweizer Psychiater<br />

auf die verschiedenen komplementären Demedikalisierungsstrategien, die teilweise bereits in der<br />

Zwischenkriegszeit erprobt worden waren. Die Schweizer <strong>Psychiatrie</strong> verabschiedete sich damit definitiv<br />

vom disziplinären Projekt einer Medikalisierung kriminellen Verhaltens, wie es ihre führenden Vertreter<br />

seit den 1880er Jahren angestrebt hatten.<br />

1527 Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Wohlfahrt, 23, 1943, 213.<br />

1528 Briner, 1943, 53.<br />

1529 Briner, 1943, 54.<br />

1530 Vgl. Maier, 1943, 158; Wyrsch, 1945, 20.<br />

370

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!