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Psychiatrie und Strafjustiz

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alle drei Psychiater übernahm die Strafrechtseinheit gewissermassen die Rolle eines Katalysators, der den<br />

Weg zu einer wissenschaftlichen Spezialisierung im Bereich der Forensik ebnete. Dies hatte, wie in diesem<br />

Kapitel gezeigt werden soll, im Gegenzug zur Folge, dass sich wissenschaftliche, forschungsstrategische<br />

<strong>und</strong> kriminalpolitische Zielsetzungen <strong>und</strong> Überlegungen bei allen drei Exponenten des Fachs überlager-<br />

ten, wenn auch mit unterschiedlichen Stossrichtungen.<br />

Kriminalpsychiatrie als Wissenschaftsdisziplin: Benno Dukor<br />

Nur wenig Resonanz erhielt das Referat, das der Basler Psychiater Benno Dukor auf der erwähnten Halbjahrestagung<br />

der Schweizerischen Gesellschaft für <strong>Psychiatrie</strong> im Juni 1944 hielt. Denn im Gegensatz zu seinen<br />

meisten Fachkollegen zeigte sich Dukor von den Auswirkungen des neuen Strafgesetzbuchs nur wenig<br />

beeindruckt. Stattdessen referierte er programmatisch über die «wissenschaftliche Tätigkeit auf dem Ge-<br />

biet der forensischen <strong>Psychiatrie</strong>». Dukors Votum war Mitte der 1940er Jahren einer der wenigen Versu-<br />

che in der Schweiz, die forensische <strong>Psychiatrie</strong> als Wissenschaftsdisziplin von der gerichtspsychiatrischen<br />

Praxis zu emanzipieren. Dukor selbst war seit 1930 in der Basler Universitätsklinik Friedmatt tätig, wo er<br />

sich 1937 habilitierte. In Basel bildete die forensische <strong>Psychiatrie</strong> einen Schwerpunkt seiner Tätigkeit. Er<br />

wirkte regelmässig als Gerichtsgutachter <strong>und</strong> hielt Vorlesungen <strong>und</strong> Fortbildungskurse über forensische<br />

<strong>Psychiatrie</strong>. 1936 übernahm er an der Friedmatt die Leitung des Begutachtungswesens <strong>und</strong> wurde 1946<br />

zum Abteilungsleiter für forensische <strong>Psychiatrie</strong> ernannt. 1545 Dukor publizierte seit den 1930er Jahren<br />

regelmässig zu forensisch-psychiatrischen Fragen, unter anderem einen 1953 erschienenen Übersichtsarti-<br />

kel mit dem Titel «Forensische <strong>Psychiatrie</strong>» für Gutachter im Bulletin des Eidgenössischen Ges<strong>und</strong>heitsamts. 1546<br />

Dukors programmatischer Entwurf einer forensisch-psychiatrischen Wissenschaftsdisziplin aus dem Jahre<br />

1944 umfasste im Wesentlichen drei Bereiche: Gesetzeskommentierung, Unterricht <strong>und</strong> Forschung. Ein<br />

besonderes Forschungsdesiderat sah Dukor in «forensisch-psychiatrischen Einzeluntersuchungen geset-<br />

zeskommentierender Art». Thema solcher Monographien müssten, so Dukor, jene Rechtsinstitute sein,<br />

die für die forensisch-psychiatrische Praxis besonders relevant seien. Ziel sei es, sowohl die gesetzlichen<br />

Gr<strong>und</strong>lagen, als auch die darauf aufbauende Gerichtspraxis aus psychiatrischer Sicht einer kritischen Aus-<br />

legung <strong>und</strong> Evaluation zu unterziehen. Besonderen Wert legte Dukor dabei auf die Untersuchung der<br />

Rechtspraxis durch das Sammeln eines «möglichst auslesefreien, eine genügend grosse Zahl von Einzelfällen<br />

umfassenden Aktenmaterials». Solche Monographien sollten dazu dienen, Empfehlungen für eine<br />

einheitliche Gerichtspraxis <strong>und</strong> künftige Gesetzesrevisionen zu formulieren. 1547 Was Dukor 1944 als zu-<br />

kunftsträchtige Forschungs- <strong>und</strong> Publikationsstrategie pries, hatte er in seiner Habilitationsschrift über das<br />

Eheverbot für Urteilsfähige <strong>und</strong> Geisteskranke von 1937 selbst vorgeführt. 1548 Darin hatte sich er einer-<br />

seits eingehend mit der Auslegung der gesetzlichen Gr<strong>und</strong>lagen des Eheverbots nach Artikel 97 des Zivil-<br />

gesetzbuchs beschäftigt, andererseits hatte er versucht, die Eheverbotspraxis in den Städten Basel <strong>und</strong><br />

Zürich über Gerichts- <strong>und</strong> Patientenakten möglichst vollständig zu erfassen. Aufgr<strong>und</strong> dieses Datenmate-<br />

rials leitete Dukor schliesslich Empfehlungen für eine Akzentuierung der eugenischen Ausrichtung des<br />

Eheverbotsartikels zuhanden des Gesetzgebers ab. 1549<br />

1545 Haenel, 1982, 198; Basler Nachrichten, 2. April 1970; Basler Nachrichten, 12. Januar 1977. Augr<strong>und</strong> der Jahresberichte der Friedmatt<br />

lässt sich die Stellung Dukors innerhalb der Anstaltshierarchie nicht endgültig klären. Ein «Forensisch-psychiatrischer<br />

Dienst» ist dort erst ab 1979 nachgewiesen (Jb. Friedmatt, 1930–1980). Auch eine Recherche im Staatsarchiv Basel ergab keine<br />

präzisen Hinweise auf die Existenz <strong>und</strong> Funktion einer forensischen Abteilung. Möglicherweise beschränkte sich Dukors Abteilungsleitung<br />

auf klinikinterne Koordinationsarbeiten im Bereich der Forensik.<br />

1546 Dukor, 1953.<br />

1547 Dukor, 1945, 444f.<br />

1548 Zum Heiratsverbot für Geisteskranke: Huonker, 2002; Goepfert, 1999; Ryter, 1994, 339-369.<br />

1549 Dukor, 1939.<br />

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