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Psychiatrie und Strafjustiz

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lich. Eine «psychopathische» Persönlichkeitsstruktur war für ihn vielmehr ein typischer Charakterzug des<br />

Kriminellen überhaupt, der den «Schwellenwert der Anormalität im forensischen Sinne» nicht erreiche. 1520<br />

Deshalb sei es ein «Nonsens, Verminderung oder gar Aufhebung der Zurechnungsfähigkeit für eine Geis-<br />

tesverfassung zubilligen zu wollen, die als die für das Gros der Verbrecher typische betrachtet werden<br />

muss. Das Strafgesetz ist ja seinem Wesen nach ein Gesetz gegen bestimmte Psychopathentypen.» 1521<br />

Ähnlich wie Maier 1925 gegenüber Edlin stellte Dukor fest, dass die Gewohnheit von Gutachtern <strong>und</strong><br />

Richtern, bei Psychopathen auf verminderte Zurechnungsfähigkeit zu erkennen, letzten Endes auf eine<br />

«Aufhebung des Strafrechts» hinauslaufe. 1522 Dukor sah aber in einer zurückhaltenden Exkulpationspraxis<br />

nicht allein eine wissenschaftliche <strong>und</strong> kriminalpolitische Forderung, sondern auch ein probates Mittel, um<br />

der Überfüllung der psychiatrischen Anstalten vorzubeugen: «Das beste Mittel, um ein Einströmen nicht<br />

in sie passender, ihren Krankenhauscharakter gefährdender Krimineller in die Heil- <strong>und</strong> Pflegeanstalten zu<br />

verhindern, ist eine wissenschaftlich richtige Praxis der Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit.» 1523 Dukors<br />

Postulat wurde zwar sporadisch von andern Psychiatern aufgegriffen, erlangte aber in der scientific communi-<br />

ty der Schweizer <strong>Psychiatrie</strong> kaum breite Anerkennung. 1524 Verstärkt wurde Dukors Aussenseiterposition<br />

dadurch, dass er sich als einer der wenigen Schweizer Psychiater gegen eine explizite Beantwortung der<br />

Frage nach der Zurechnungsfähigkeit durch die Sachverständigen aussprach. Dukor bezog dabei in einer<br />

zentralen Frage gegen die disziplinäre Mehrheitsposition Stellung, wie sie sich seit der Edlin-Maier-<br />

Kontroverse in den 1920er Jahre herauskristallisiert hatte. Eine Haltung, die etwa von Binder als «steril»<br />

abgetan wurde. 1525<br />

... oder Medikalisierung?<br />

Diese Demedikalisierungsstrategien gerieten sowohl seitens des Strafvollzugs, als auch innerhalb der <strong>Psychiatrie</strong><br />

unter Druck. Auf der Tagung des Nationalkomitees für geistige Hygiene warf der Direktor der Strafan-<br />

stalt Lenzburg Hans W. Maier vor, das Strafgesetzbuch nach den Wünschen der <strong>Psychiatrie</strong> auszulegen.<br />

Der Strafanstaltsdirektor anerkannte zwar die Kompetenz der psychiatrischen Sachverständigen, über die<br />

Zurechnungsfähigkeit <strong>und</strong> Straferstehungsfähigkeit zu entscheiden. Er lehnte es aber ausdrücklich ab, für<br />

nicht straferstehungsfähig erklärte DelinquentInnen in die Strafanstalt aufzunehmen: «Wer von Ihnen<br />

[den Psychiatern] als nicht straferstehungsfähig erklärt wird, oder wer überhaupt keine verbrecherische<br />

Handlung begangen hat, den lehnen wir im Strafvollzug aus ethischen, wirtschaftlichen <strong>und</strong> strafvollzugs-<br />

technischen <strong>und</strong> auch aus Gründen der Moral <strong>und</strong> der Gerechtigkeit ab.» 1526 In die gleiche Richtung zielte<br />

das Diskussionsvotum des Zürcher Psychiaters Otto Briner, der sich gegen eine Abschiebung der nach<br />

Artikel 14 des Strafgesetzbuchs Verwahrten in die Strafanstalten wandte: «Gegen die Versetzung dieser<br />

Elemente in Straf- oder gewöhnliche, nicht ärztlich geleitete Verwahrungsanstalten bestehen meines Er-<br />

achtens jedoch ernstliche Bedenken. Nicht nur, weil eine solche Unterbringung nicht dem Wortlaut des<br />

Art. 14 StGB entspricht, wo ausdrücklich von der Versorgung in einer Heil- oder Pflegeanstalt die Rede<br />

ist, sondern auch aus rein ärztlichen Erwägungen heraus: Wenn auch solche Kriminelle therapeutisch<br />

nicht oder nur wenig beeinflusst werden können, so gehören sie doch unter eine regelmässige ärztliche<br />

Kontrolle, denn es ist in erster Linie Aufgabe eines Psychiaters, die richtige Behandlung <strong>und</strong> Überwa-<br />

1520 Dukor, 1951, 427.<br />

1521 Dukor, 1946, 198; Dukor, 1946a, 127.<br />

1522 Dukor, 1945a, 298.<br />

1523 Dukor, 1945a, 299; Dukor, 1946a, 127f.<br />

1524 Vgl. Binder, 1943, 37; Kielholz, 1943, 179; Wyrsch, 1945, 23. Ebenfalls für eine restriktive Exkulpationspraxis sprach sich der<br />

Strafgesetzkommentar von Thormann <strong>und</strong> von Overbeck aus; vgl. Thormann/von Overbeck, I, 75.<br />

1525 Vgl. Dukor, 1945a, 297; Binder, 1952, 18.<br />

1526 Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Wohlfahrt, 23, 1943, 214f.<br />

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