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Psychiatrie und Strafjustiz

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10.2 Die Abstimmung über das Strafgesetzbuch vom 3. Juli 1938<br />

Bereits vor der parlamentarischen Schlussabstimmung begannen die Vorbereitungen für den Abstim-<br />

mungskampf um das Strafgesetzbuch, das dem fakultativen Referendum unterstand. Die Volksabstim-<br />

mung vom 3. Juli 1938 wurde dann zu einem «Höhepunkt der plebiszitären Demokratie der 1930er Jahre»<br />

(Leonhard Neidhart). Auf entsprechend grosse Resonanz stiess der Abstimmungskampf in der zeitgenös-<br />

sischen Presse. Angesichts dieser Umstände erstaunt es, dass die historische Forschung die Abstimmung<br />

vom Juli 1938 bislang kaum beachtet hat. 1402 Diese Lücke dürfte zu einem guten Teil damit zusammen-<br />

hängen, dass sich weder die Problematik der Strafrechtsreform, noch die Kräftekonstellation anlässlich der<br />

Abstimmung vom Juli 1938 problemlos in die heute dominierende Perspektive auf die 1930er Jahre ein-<br />

ordnen lassen. Im Zentrum des bisherigen Forschungsinteresses standen denn auch die Entstehung der<br />

Konkordanzdemokratie <strong>und</strong> die Herausbildung der Integrationsideologie der «Geistigen Landesverteidi-<br />

gung» in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts. 1403 So hat Pietro Morandi die Abstimmung über das Strafge-<br />

setzbuch jüngst als blosses «Vorgefecht beim Kampf um die neue B<strong>und</strong>esfinanzordnung» interpretiert, die<br />

ihrerseits einen wichtigen Schritt zur Integration divergierender politischer Kräfte darstellte. 1404 Die Ab-<br />

stimmung vom 3. Juli 1938 lässt sich indes nur bedingt in historische Entwicklungsmodelle einordnen, die<br />

Konflikte um Klassen- <strong>und</strong> Wirtschaftsordnungen von vornherein prioritäre Bedeutung beimessen. Wie<br />

die Analyse der Parlamentsdebatte gezeigt hat, spielten im Bereich der Strafrechtsdebatte Konfliktlinien,<br />

die in der Tradition des Kulturkampfs des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts standen, eine ungleich bedeutendere Rolle.<br />

Vor allem seitens der katholisch-konservativen Minderheit <strong>und</strong> der Romandie besassen strafrechtliche<br />

Fragen Mobilisierungspotenziale, die sich der Logik klassenkämpferischer Auseinandersetzungen weitge-<br />

hend entzogen. So hat Lukas Rölli-Alkemper in seiner Studie über die Konservative Volkspartei gezeigt,<br />

dass die Abstimmung über das Strafgesetzbuch als wichtiger Transmissionsriemen zwischen einem traditi-<br />

onellen katholischen Antimodernismus <strong>und</strong> der Tagespolitik diente. 1405 Roland Bütikofer hat dagegen auf<br />

die Nutzung des Mobilisierungs- <strong>und</strong> Integrationspotential des Abstimmungskampfs um das Strafgesetz-<br />

buch durch die extreme Rechte in der Westschweiz hingewiesen. 1406 Gestützt auf die Forschungsliteratur<br />

<strong>und</strong> ausgewählte Quellen geben die folgenden Ausführungen einen knappen Abriss über den Abstim-<br />

mungskampf um das schweizerische Strafgesetzbuch. Der Fokus liegt dabei auf den politischen Relevanz-<br />

strukturen, in welchen sich die staats- <strong>und</strong> kriminalpolitischen Stränge des Strafdiskurses bewegten.<br />

Die Gegner formieren sich<br />

Die Schlussabstimmungen in den Räten vom 21. Dezember 1937 verhiessen dem Strafgesetzbuch von<br />

zwei Seiten Widerstand. Die grosse Mehrheit der Parlamentarier aus der Romandie stimmte gegen das<br />

Gesetz, die Liberalen bek<strong>und</strong>eten ihre Ablehnung sogar in einer Fraktionserklärung. Die katholisch-<br />

konservative Fraktion beschloss dagegen Stimmfreigabe. 1407 Bereits im Juni 1937 hatten sich Vertreter der<br />

Ligue vaudoise <strong>und</strong> des Redressement national zu ersten Besprechungen über das Ergreifen des Referendums<br />

getroffen. Am 5. Dezember 1937 konstituierten beide Organisationen der extremen Rechten ein Referen-<br />

1402 Neidhart, 1970, 95f.; Imhof/Kleger/Romano, 1996, 259. Vgl. die Forschungsüberblicke über die Zwischenkriegszeit: Guex et<br />

al.; Kreis, 1992; Jost, 1986, 815-819; Greyerz, 1980, 1196.<br />

1403 Paradigmatisch für die begrifflich <strong>und</strong> analytisch unklare Einordnung der Abstimmung vom Juli 1938 erscheint die Erwähnung<br />

des StGB in der Geschichte der Schweiz <strong>und</strong> der Schweizer: «Mit dem Strafgesetzbuch von 1938, der späten Verwirklichung des<br />

Verfassungssatzes von 1898, erhielt der Exekutivstaat auch noch strafrechtliche Handhabe.» (Jost, 1986, 796). Weitere Beispiele<br />

für das Vorherrschen dieser beiden Perspektiven sind: Mooser, 1997; Imhof, 1996; Morandi, 1995; Scheiben, 1987; Ruffieux,<br />

1974; Möckli, 1973.<br />

1404 Morandi, 1995, 312, 350.<br />

1405 Rölli-Alkemper, 1993, 229-243.<br />

1406 Bütikofer, 1996, 292-302.<br />

1407 Sten. Bull. SR, 1937, 404-408; Sten. Bull. NR, 1937, 809-812.<br />

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