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Psychiatrie und Strafjustiz

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ten Strafe sollten potenzielle StraftäterInnen von der Begehung einer Straftat abgehalten werden. Krimi-<br />

nelles Verhalten wurde dabei als das Ergebnis eines rationalen Kalküls zwischen den Vorteilen einer Straf-<br />

tat <strong>und</strong> den durch die Strafe angedrohten Nachteilen modelliert. Eine zweckmässige Strafe hatte demnach<br />

lediglich die vermeintlichen Vorteile eines Gesetzesbruchs zu übertreffen: «Es ist schon genug, um eine<br />

Strafe in ihrer Wirksamkeit zu erhalten, dass das aus der Strafe entstandene Übel den Vorteil übertreffe,<br />

welches das Verbrechen mit sich bringt [...].» 132 Was Beccaria <strong>und</strong> Feuerbach vorschwebte, war eine Steue-<br />

rung menschlichen Verhaltens durch die Instrumente der gesetzlichen Strafandrohung <strong>und</strong> einer lückenlo-<br />

sen Strafverfolgung. Feuerbach verdichtete diesen Gedanken der Generalprävention schliesslich in seiner<br />

Theorie des psychologischen Zwangs. 133 Die generalpräventiven Straftheorien legten den kriminalpoliti-<br />

schen Schwerpunkt konsequenterweise auf die gesetzgeberische Bestimmung der Strafandrohung. Die<br />

Verfechter einer Spezialprävention rückten dagegen die Behandlung der Verbrecher im Strafvollzug in den<br />

Vordergr<strong>und</strong>. Deutsche Juristen wie Ernst Ferdinand Klein (1744–1810) propagierten in den 1790er Jah-<br />

ren ein Strafsystem, das in erster Linie auf das Bessern <strong>und</strong> Unschädlichmachen einzelner DelinquentIn-<br />

nen abzielte. Gr<strong>und</strong>lage für die strafrechtliche Beurteilung eines Delikts sollte weniger die Schwere der<br />

Tat, als die «gefährliche <strong>und</strong> rechtsbrecherische Gesinnung» der TäterInnen sein. Niederschlag fand diese<br />

Straftheorie in einzelnen Bestimmungen des Allgemeinen Preussischen Landrechts von 1794. Demnach<br />

konnten Diebe <strong>und</strong> andere Verbrecher, «welcher ihrer verdorbenen Neigung wegen dem gemeinen Wesen<br />

gefährlich werden können», auch über ihre Strafe hinaus verwahrt werden, «bis sie ausgewiesen haben, wie<br />

sie sich auf eine ehrliche Art zu ernähren im Stande sind». 134 Die spezialpräventiven Straftheorien gerieten<br />

nach der Jahrh<strong>und</strong>ertwende allerdings unter massiven Druck seitens der Anhänger der Generalprävention.<br />

In den Augen Feuerbachs stellte ein Strafrecht, das auf die «verbrecherische Gesinnung» der StraftäterIn-<br />

nen statt auf die objektive Straftat abstellte, die Prinzipien des bürgerlichen Strafrechts in Frage. Solche<br />

Einwände hatten zur Folge, dass die Spezialprävention in den Strafdiskursen der ersten Hälfte des 19.<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts kaum mehr eine Rolle spielte <strong>und</strong> erst von den Strafrechtsreformern des letzten Jahrhun-<br />

dertdrittels wieder aufgegriffen wurde. 135 Den general- <strong>und</strong> spezialpräventiven Straftheorien war indes<br />

gemein, dass sie den Zweck der Strafe in der Prävention des Verbrechens sahen <strong>und</strong> die Strafe unter dem<br />

Blickwinkel der kriminalpolitischen Zweckmässigkeit betrachteten. Pointierte Kritik erfuhr diese Zweckra-<br />

tionalität durch Immanuel Kant (1724–1805), der sich 1797 in aller Schärfe gegen solche relativen Straf-<br />

theorien aussprach. Nach Kant lag der Sinn des Strafrechts ausschliesslich in der Vergeltung geschehenen<br />

Unrechts <strong>und</strong> der Wiederherstellung von Gerechtigkeit. Dem kategorischen Imperativ zufolge dürfe der<br />

Staat <strong>und</strong> das Strafrecht StraftäterInnen nie als Mittel zur Erreichung kriminalpolitischer Zwecke instru-<br />

mentalisieren: «Richterliche Strafe [...] kann niemals bloss als Mittel, ein anderes Gut zu befördern, für den<br />

Verbrecher selbst, oder für die bürgerliche Gesellschaft, sondern muss jederzeit nur darum wider ihn ver-<br />

hängt werden, weil er verbrochen hat [...].» 136 Im Gegensatz zu Feuerbach <strong>und</strong> den Anfängern der Spezi-<br />

alprävention propagierte Kant eine absolute Straftheorie, die den Sinn der Strafe allein in der Vergeltung<br />

<strong>und</strong> der Wiederherstellung der Rechtsordnung sah. Vom frühneuzeitlichen Strafparadigma unterschied<br />

sich diese Straftheorie allerdings durch den säkularisierten Charakter der angestrebten Gerechtigkeit sowie<br />

durch das streng zu befolgende Prinzip der Gleichbehandlung aller RechtsbrecherInnen. 137<br />

132 Beccaria [1764], 1966, 112.<br />

133 Ludi, 1999, 294-298; Schmidt, 1995, 238f.; Kaenel, 1981, 51-53.<br />

134 Zwanzigster Titel, Artikel 5 des Allgemeinen Preussischen Landrechts, zitiert: Buschmann, 1998, 273.<br />

135 Nutz, 2001, 105-109; Cartuyvels, 1999; Evans, 1997, 27-30; Schmidt, 1995, 225-228, 251-253.<br />

136 Kant [1797], 1983, 453.<br />

137 Ludi, 1999, 138f.; Schmidt, 1995, 231f.; Kaenel, 1981, 48-51.<br />

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