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Psychiatrie und Strafjustiz

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Aufwiegler, die den Frieden in den übrigen Teilen der Anstalt dauernd <strong>und</strong> erheblich stören.» In Einzelfäl-<br />

len sollten zudem Sexualdelinquenten in das Haus eingewiesen werden. Für «Vaganten» erachtete Ris eine<br />

Einweisung dagegen als «nicht recht <strong>und</strong> ökonomisch». 1254<br />

Gestützt auf Ris’ Bericht <strong>und</strong> die Pläne des Kantonsbaumeister, legte die Zürcher Regierung dem Kan-<br />

tonsrat im September 1913 zusammen mit der Erweiterung der Rheinau um ein «Pavillon für unruhige<br />

Geisteskranke» ein Projekt für einen «Pavillon für Geisteskranke mit Veranlagung zu kriminellen Hand-<br />

lungen» vor. Der vorgeschlagene Pavillon sollte die Gr<strong>und</strong>form eines T aufweisen, mit besonderen Si-<br />

cherheitseinrichtungen ausgerüstet sein <strong>und</strong> 23 Patienten aufnehmen können, dazu kamen die Unterkünf-<br />

te für zehn Wärter. Aufgr<strong>und</strong> der Quellen lässt sich nicht eindeutig klären, ob der Pavillon ausschliesslich<br />

Männer oder auch Frauen aufnehmen sollte. 1255 In der Staatsrechnungskommission des Kantonsrat geriet<br />

der Pavillon jedoch bald aus finanziellen Gründen unter Druck. Angesichts des politischen Widerstands<br />

zogen es die Ges<strong>und</strong>heitsdirektion <strong>und</strong> der Direktor der Rheinau vor, auf den Pavillon für Kriminelle<br />

zugunsten eines solchen für «unruhige Frauen» zu verzichten. 1256 In seinen neuen Antrag begründete der<br />

Regierungsrat den Verzicht damit, «dass das Bewahrhaus für gefährliche Irre unverhältnismässig grosse<br />

Bau- <strong>und</strong> Betriebskosten veranlassen <strong>und</strong> dass es gewagt erscheinen würde, diesen Bau dem Volksentscheide<br />

zu unterbreiten, obwohl ein Bedürfnis hierfür nicht bestritten werden kann. Der Umstand jedoch,<br />

dass die Möglichkeit besteht, in nicht ferner Zukunft eine solche Anstalt in Verbindung mit andern Kan-<br />

tonen <strong>und</strong> eventuell mit B<strong>und</strong>esunterstützung einzurichten, dürfte eine Zurückstellung rechtfertigen.» 1257<br />

Sowohl das Zürcher Projekt, als auch das Berner Gedankenspiel standen in engem Zusammenhang mit<br />

der Erweiterung der jeweiligen Irrenanstalten. Über das Versanden des Berner Vorschlag lassen sich nur<br />

Vermutungen anstellen. Auf jeden Fall stiess der Vorschlag des Regierungsrats weder bei der Aufsichtskommission<br />

der Irrenanstalten noch bei den Berner Psychiatern auf ein grosses Echo. Das Zürcher Pro-<br />

jekt, das ein deutlich fortgeschritteneres Stadium erreichte, scheiterte dagegen an den finanzpolitischen<br />

Widerständen der Staatsrechnungskommission. Um die Erweiterung der Rheinau nicht zu gefährden,<br />

waren die Zürcher Regierung <strong>und</strong> die Direktion der Rheinau schnell bereit, auf den Pavillon zu verzichten.<br />

In beiden Fällen zeigte sich, dass die konkrete Umsetzung des vor allem in Deutschland erprobten Mo-<br />

dells eines «Bewahrungshauses» oder gar einer Spezialanstalt auf politische <strong>und</strong> vor allem finanzielle<br />

Schwierigkeiten stiessen. Die Zürcher Psychiater als Hauptinteressenten des Rheinauer Projekts, waren<br />

nicht bereit, sich in solchen zweifellos unpopulären Fragen, über die selbst innerhalb psychiatrischen der<br />

Disziplin kaum Einigkeit herrschte, stark zu engagieren. Zudem erschien ihnen angesichts der beschränk-<br />

ten Ressourcen schliesslich die Realisierung eines zusätzlichen Pavillons für «unruhige Frauen» als vor-<br />

dringlicher. Geht man davon aus, dass es sich bei den im «Bewahrungshaus» unterzubringenden «Patien-<br />

ten» in erster Linie um Männer gehandelt hätte, so lässt sich der Entscheid des Regierungsrats auch als<br />

geschlechtsspezifische Ressourcenverschiebung interpretieren. Was die überwiegend männlichen «Geis-<br />

teskranken mit Veranlagung zu kriminellen Handlungen» anbelangte, erwies sich die Hoffnung der Zür-<br />

1254 StAZH VII 30.5, Band 1, Bericht über die Erstellung eines Bewahrungshauses für kriminelle <strong>und</strong> besonders gefährliche Geisteskrank<br />

in Rheinau, 18. Dezember 1912. Derselbe Bericht befindet sich in Kopie auch in den Akten des B<strong>und</strong>esarchivs zum<br />

Strafgesetzbuch: BAR E 4110 (A) -/42, Bd. 92. Eine ähnliche Studienreise wie Ris hatte 1895 der Direktor der Irrenanstalt Will,<br />

Friedrich Schiller, nach Deutschland unternommen; vgl. Mikolasek, 1991, 42.<br />

1255 Antrag des Regierungsrats vom 18. September 1913, in: Amtsblatt des Kantons Zürich, 1913, 763-774. Explizite Angaben über<br />

das Geschlecht der im Pavillon zu verwahrenden «Patienten» fehlen im Antrag des Regierungsrats. Aufgr<strong>und</strong> der Bauplanung, die<br />

eine Kombination aus Wachsälen <strong>und</strong> Einzelzellen vorsah, ist es durchaus denkbar, das vorgesehen war, auch einzelne Frauen<br />

aufzunehmen.<br />

1256 StAZH VII 30.5, Band 1, Protokoll der Baudirektion 2316, 20. November 1913; Schreiben von Ris an die Ges<strong>und</strong>heitsdirektion,<br />

27. November 1913. Die Protokolle der Staatrechnungskommission sind gemäss Auskunft des Staatsarchiv Zürich vom 2.<br />

Juni 2000 nicht überliefert.<br />

1257 Antrag des Regierungsrates vom 12. März 1914, in: Amtsblatt des Kantons Zürich, 1914, 267-278, 267 f.<br />

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