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Psychiatrie und Strafjustiz

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den Juristen, Strafvollzugsbeamten <strong>und</strong> Ärzten die für die Umsetzung des neuen Strafrechts nötigen<br />

Kenntnissen zu vermitteln, veranstalteten der Berner Juristenverein <strong>und</strong> die Kantonsverwaltung anschliessend<br />

mehrere Einführungskurse. 1454 Für die forensisch-psychiatrische Praxis unmittelbar relevant waren vier<br />

Bestimmungen des kantonalen Einführungsgesetzes. Gemäss Artikel 25 oblag der Vollzug von Verwah-<br />

rungs- <strong>und</strong> Versorgungsmassnahmen gegen unzurechnungsfähige oder vermindert zurechnungsfähige<br />

StraftäterInnen der kantonalen Polizeidirektion. In die Kompetenz des urteilenden Gerichts fiel dagegen<br />

der Entscheid über einen nachträglichen Vollzugs einer Freiheitsstrafe an DelinquentInnen, die als ver-<br />

mindert zurechnungsfähig verwahrt oder in eine Trinkerheilanstalt eingewiesen worden waren. Artikel 28<br />

sah die Anordnung sichernder Massnahmen im Fall der Aufhebung einer Untersuchung durch die Untersuchungs-<br />

<strong>und</strong> Anklagebehörden vor, wodurch die seit dem letzten Drittel des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts ange-<br />

wandte Massnahmenpraxis erstmals eine explizite gesetzliche Gr<strong>und</strong>lage erhielt. Artikel 66 übertrug die<br />

beim Vollzug sichernder Massnahmen anfallenden Kosten den betroffenen DelinquentInnen, respektive<br />

ihren Heimatgemeinden.<br />

Ein Kernstück der Strafrechtsreform war die Differenzierung der für den Straf- <strong>und</strong> Massnahmenvollzug<br />

vorgesehenen Anstaltstypen, die zumindest in der Form verschiedener Abteilungen voneinander getrennt<br />

werden sollten. Zudem war eine konsequente Separierung der Geschlechter durchzuführen. Für den Kan-<br />

ton Bern hiess dies, dass die bestehenden Anstalten für die vorgesehenen Strafen <strong>und</strong> Massnahmen einge-<br />

richtet werden mussten. Der Regierungsrat regelte den neuen Straf- <strong>und</strong> Massnahmenvollzug eingehend in<br />

einer Verordnung vom 12. Dezember 1941, die ein komplexes Vollzugsregime etablierte, welches je nach<br />

Geschlecht, Straf- oder Massnahmendauer <strong>und</strong> den Vorstrafen der betroffenen DelinquentInnen unter-<br />

schiedliche Vollzugsanstalten vorsah. Was die sichernden Massnahmen anbelangte, bedeutete dies: Mass-<br />

nahmen an Trunksüchtigen sollten bei nicht Vorbestraften in einer privaten Anstalt, bei Vorbestraften<br />

dagegen in den Anstalten Witzwil (Männer) oder Hindelbank (Frauen) erfolgen. Diese beiden Anstalten<br />

dienten zugleich als Arbeitserziehungsanstalten. Für die Verwahrung von «Gewohnheitsverbrechern»<br />

waren dagegen besondere Abteilungen in Thorberg (Männer) <strong>und</strong> Hindelbank (Frauen) vorgesehen. Be-<br />

züglich der geistesgestörten Straftäter bestimmte Artikel 10 der Verordnung: «Die Verwahrung, Versor-<br />

gung oder Behandlung Unzurechnungsfähiger oder vermindert Zurechnungsfähiger erfolgt je nach dem<br />

Fall in einer Heil- <strong>und</strong> Pflegeanstalt, Armenanstalt, Arbeitsanstalt, Anstalt für Epileptische usw.» Das<br />

urteilende Gericht hatte demnach seinen Beschluss sowie die Akten der Polizeidirektion zuzustellen. Diese<br />

erliess dann einen entsprechenden Vollzugsbefehl. 1455<br />

Dieses rechtliche Dispositiv bildete die Gr<strong>und</strong>lage für das «flexible Berner Modell», wie die im Kanton<br />

Bern praktizierte Unterbringung geistesgestörter Straftäter im Folgenden bezeichnet werden soll. Gemäss<br />

diesem Modell oblag es den Verwaltungsbehörden, konkret der Polizeidirektion, in jedem Einzelfall die<br />

für den Vollzug sichernder Massnahmen an «abnormen» StraftäterInnen bestimmten Anstalten festzule-<br />

gen. In der Praxis hiess dies, dass das zuständige Gericht zwar eine Verwahrung oder Versorgung in einer<br />

«Heil- oder Pflegeanstalt» anordnete, die entsprechende Anstalt konnte dann aber von der Polizeidirektion<br />

in freiem Ermessen bestimmt werden. Diese Vollzugspraxis erweiterte den Handlungsspielraum der Ver-<br />

waltungsbehörden zwar beträchtlich, in formaljuristischer Hinsicht war es indes keineswegs unproblema-<br />

tisch. So war in einem Kreisschreiben des Eidgenössischen Justizdepartements vom 14. November 1941,<br />

was den Vollzug sichernder Massnahmen aufgr<strong>und</strong> Artikel 14 <strong>und</strong> 15 des Strafgesetzbuchs anbelangte,<br />

unmissverständlich von «Irrenanstalten oder ähnlichen Institutionen» die Rede. Eine Unterbringung Un-<br />

1454 GDV, 1940, 200-227; TBGR, 1940, Beilage 7; Zeitschrift des Berner Juristenvereins, 1940, 489f., 545f.<br />

1455 GDV, 1941, 118-123; Bericht über die Staatsverwaltung des Kantons Bern, 1942, 29<br />

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