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Di. 11.09.| Einzelbeiträge 16 | 14:45 Uhr – 15:25 Uhr | Raum S2 137<br />

Gerhard Minnameier<br />

Das Happy-Victimizer-Phänomen im Erwachsenenalter – Überraschende<br />

Befunde, neue Erklärungen und pädagogische Konsequenzen<br />

Goethe-<strong>Universität</strong> Frankfurt<br />

minnameier@econ.uni-frankfurt.de<br />

Das sog. Happy-Victimizer-Phänomen (HVP) besagt, dass Kinder zwischen etwa 4 und 7 Jahren einerseits<br />

moralische Regeln kennen, verstehen und auch akzeptieren, sie aber gleichwohl jemandem, der<br />

gegen moralische Regeln verstößt und z.B. anderen etwas stiehlt, ausschließlich positive Emotionen<br />

zuschreiben, anstatt Gefühle wie Schuld und Scham. Auch wenn sie selbst sich in die Position des<br />

Täters versetzen sollen, bleibt dieser Effekt bei etwa der Hälfte der Kinder bestehen. Man geht davon<br />

aus, dass das HVP zum 10. Lebensjahr verschwindet und man es danach allenfalls bei delinquenten<br />

Jugendlichen und Erwachsenen vorfindet (vgl. Krettenauer, Malti & Sokol, 2008).<br />

Die klassische Erklärung für das HVP unterstellt, dass Kinder sehr früh moralisches Wissen erwerben,<br />

sie danach aber erst sukzessive sog. moralische Motivation aufbauen müssen (vgl. z.B. Nunner-<br />

Winkler, 2007).<br />

Eine aktuelle Befragung von über 200 Studierenden der Wirtschaftswissenschaften und der Wirtschaftspädagogik<br />

hat allerdings ergeben, dass das HVP offenbar auch im Erwachsenenalter im großen<br />

Stil auftritt, und zwar in bestimmten Situationen und dabei bei mindestens 50 % der Probanden.<br />

Eingesetzt wurden vier Geschichten mit Situationsvarianten, analog zu den Geschichten, die in der<br />

klassischen HVP-Forschung bei Kindern eingesetzt wurden. Ähnliche Befunde werden ansonsten auch<br />

aus dem Bereich der Behavioural Economics berichtet.<br />

Diese Ergebnisse werden verständlich, wenn man das HVP nicht mit mangelnder moralischer Motivation<br />

erklärt (die als Disposition situationsübergreifend wirken müsste), sondern im Sinne einer bestimmten<br />

moralischen Urteilsstruktur, die in bestimmten Situationen aktiviert wird (vgl. hierzu Minnameier,<br />

2010; in Druck). Dass moralische Prinzipien situationsspezifisch genutzt werden, ist in der<br />

Moralforschung seit langem bekannt. Nur wurde das HVP bislang nicht als eine spezifische moralkognitive<br />

Perspektive interpretiert.<br />

Die aktuellen Ergebnisse sind nicht nur vor dem Hintergrund der klassischen HV-Forschung höchst<br />

interessant und überraschend, sondern sie sind auch pädagogisch höchst bedeutsam. Nach der klassischen<br />

Deutung müsste man dem HVP mit Anstrengungen zur Förderung der moralischen Motivation<br />

entgegenzuwirken versuchen. Im Lichte der aktuellen Erkenntnisse und der theoretischen Erklärung<br />

scheint es aber zumindest bei den älteren Individuen (die dem HV-Alter im Prinzip entwachsen sind)<br />

gute situationsspezifische Gründe für HVP-typische Orientierungen. Entsprechend wäre pädagogisch<br />

eher die Fähigkeit zu einer sinnvollen situationsspezifischen Differenzierung auszuprägen und zu<br />

fördern, gerade bei jungen Auszubildenden in kaufmännischen Berufen.<br />

Krettenauer, T., Malti, T., & Sokol, B. W. (2008). The development of moral emotion expectancies and the happy<br />

victimizer phenomenon: A critical review of theory and application. European Journal of Developmental Science,<br />

2, 221-235.<br />

Minnameier, G. (2010). The problem of moral motivation and the happy victimizer phenomenon: Killing two birds<br />

with one stone. New Directions for Child and Adolescent Development, 129, 55-75.<br />

Minnameier, G. (in Druck). A cognitive approach to the "happy victimiser". Journal of Moral Education.<br />

Nunner-Winkler, G. (2007). Development of moral motivation from childhood to early adulthood. Journal of Moral<br />

Education, 36, 399-414.<br />

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