Amtliches Bulletin der Bundesversammlung Bulletin officiel de l ...
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5. Juni 1997 N 1031 Geschäftsbericht <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>srates<br />
in <strong>de</strong>m Sinne eigentlich ein Zuneigungszeichen. Diejenigen<br />
sind Ignoranten, welche lobhu<strong>de</strong>ln, wo sie wissen, dass eigentlich<br />
Kritik angemessen wäre.<br />
2. Ich möchte einen berühmt gewor<strong>de</strong>nen Satz eines Bun<strong>de</strong>srates<br />
aus <strong><strong>de</strong>r</strong> letzten Woche aufnehmen und auf uns anwen<strong>de</strong>n.<br />
Er hat – auf an<strong><strong>de</strong>r</strong>e bezogen – gemeint, dass man<br />
vor lauter Erbsenzählen die Vision auf das Ganze nicht mehr<br />
habe.<br />
Ich habe <strong>de</strong>n Eindruck, dass bei diesem Geschäftsbericht<br />
nicht Erbsen gezählt wer<strong>de</strong>n, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n dass man <strong>de</strong>n Fehler<br />
machte, <strong>de</strong>m viele unserer Regierungsmitglie<strong><strong>de</strong>r</strong> auch verfallen:<br />
dass man nämlich vor lauter Departementen, vor lauter<br />
eigenem Geschäft, das Ganze nicht mehr sieht. Man verliert<br />
sozusagen das Bild fürs Ganze, weil man völlig auf das eigene<br />
Geschäft o<strong><strong>de</strong>r</strong> auf das eigene Amt fixiert ist. Es regiert<br />
eigentlich niemand mehr, weil nur noch das eigene Amt verwaltet<br />
wird.<br />
Wenn dann <strong><strong>de</strong>r</strong> Bun<strong>de</strong>srat im Geschäftsbericht doch etwas<br />
zum Gesamteindruck sagt, dann hat man das Gefühl, er lebe<br />
in einer an<strong><strong>de</strong>r</strong>en Welt o<strong><strong>de</strong>r</strong> es sei auf je<strong>de</strong>n Fall nicht die<br />
Schweiz gemeint, die wir täglich erfahren. Es heisst zum Beispiel<br />
in einer zusammenfassen<strong>de</strong>n Bemerkung: «Gemessen<br />
an <strong>de</strong>n Zielen, die sich <strong><strong>de</strong>r</strong> Bun<strong>de</strong>srat für 1996 gesetzt hat,<br />
kann er eine weitgehend positive Bilanz ziehen.» Ich glaube,<br />
das ist Realsatire! Kein Kabarettist hätte die Phantasie, zu<br />
behaupten, in unserem Land hätten die Regierung und wir alles<br />
gut gemacht.<br />
Selbstverständlich ist nicht <strong><strong>de</strong>r</strong> Zusammenhalt in <strong>de</strong>m Sinne<br />
gefähr<strong>de</strong>t, dass die Schweiz auseinan<strong><strong>de</strong>r</strong>brechen wür<strong>de</strong>.<br />
Aber das, was real passiert, ist viel gefährlicher, weil unspektakulärer<br />
und unsichtbarer. In dieser Jahresbilanz <strong><strong>de</strong>r</strong> Regierung<br />
kommt das «innere Wegbrechen» vieler Bürgerinnen<br />
und Bürger vom Staat, von <strong><strong>de</strong>r</strong> Gesellschaft, vom Land, <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Abbruch <strong><strong>de</strong>r</strong> politischen Beziehungen so vieler Bürger zum<br />
Staat, in keiner Weise zum Ausdruck.<br />
Es geht aber um <strong>de</strong>n Abbruch <strong><strong>de</strong>r</strong> politischen Beziehung zur<br />
Gemeinschaft, selbstverständlich aus jeweils ganz an<strong><strong>de</strong>r</strong>en<br />
Grün<strong>de</strong>n, und zum Teil sind sie einan<strong><strong>de</strong>r</strong> diametral gegenübergestellt.<br />
Aber das ist gera<strong>de</strong> das Wichtigste: dass wir das<br />
zur Kenntnis nehmen und uns fragen, weshalb das so sei.<br />
In <strong><strong>de</strong>r</strong> Krisensituation zieht sich je<strong><strong>de</strong>r</strong> auf das zurück, was er<br />
als absolut richtig anschaut, und ist nicht mehr bereit, darüber<br />
zu re<strong>de</strong>n. In einer solchen Situation steckt die Schweiz. Die<br />
Politik, <strong><strong>de</strong>r</strong> Staat, wird nur noch als Quelle permanenter Frustration<br />
wahrgenommen und nicht mehr als Ort <strong><strong>de</strong>r</strong> gemeinsamen<br />
Verständigung auf das, was uns an unseren gemeinsamen<br />
Lebensgrundlagen am wichtigsten ist. Das ist vielleicht<br />
das grösste Problem, das man haben kann!<br />
Wenn dieses Problem in einem Geschäftsbericht, in einer<br />
solchen Jahresbilanz, nicht zum Ausdruck kommt, dann<br />
stimmt etwas nicht. Das Hauptproblem ist nämlich nicht,<br />
wenn sich die Leute wehren, wenn sie sich wehren und engagieren<br />
– auch hektisch und laut und sozusagen unor<strong>de</strong>ntlich<br />
–, <strong>de</strong>nn dann ist <strong><strong>de</strong>r</strong> Anfang zur Besserung schon gemacht.<br />
Viel schlimmer ist es, wenn es zu ruhig wird, wenn<br />
man die Beziehungen abbricht, wenn man nichts mehr sagt,<br />
obwohl einem das Herz schwer ist, obwohl man viel zu sagen<br />
hätte.<br />
Es ist fast ein Hohn, in einer solchen Situation von einer positiven<br />
Bilanz zu sprechen, wenn die Regierung eines Staates<br />
in einer solchen Situation – übrigens, alle Regierungen<br />
haben ähnliche Probleme – davonläuft, Herr Koller, und sich<br />
meiner Meinung nach zuwenig damit auseinan<strong><strong>de</strong>r</strong>setzt.<br />
Deshalb, Herr Koller, gibt es eine falsche Priorität, wenn es<br />
heisst, <strong><strong>de</strong>r</strong> Bun<strong>de</strong>srat gehe die langfristigen Aufbau- und Reformarbeiten<br />
bestens an. Aber die falschen Prioritäten <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Verfassungsreform müssen wir jetzt in <strong><strong>de</strong>r</strong> Kommission korrigieren,<br />
das ist mühsam. Die Priorität ist falsch, wenn die<br />
Möglichkeiten, mit <strong>de</strong>nen die Bürgerinnen und Bürger ihre<br />
Unzufrie<strong>de</strong>nheit äussern können, erschwert wer<strong>de</strong>n, anstatt<br />
dass man die Situation so belässt, wie sie ist, und sich an<strong><strong>de</strong>r</strong>s<br />
mit <strong>de</strong>m auseinan<strong><strong>de</strong>r</strong>setzt, was sie sagen. Wir können uns<br />
kaum mehr untereinan<strong><strong>de</strong>r</strong> verständigen, weil wir so fixiert<br />
sind auf das einzige unsrige und vor lauter Bäumen <strong>de</strong>n Wald<br />
nicht mehr sehen.<br />
<strong>Amtliches</strong> <strong>Bulletin</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Bun<strong>de</strong>sversammlung</strong><br />
Wenn aber wir uns selber nicht mehr verstehen, müssen wir<br />
uns auch nicht wun<strong><strong>de</strong>r</strong>n, dass aussen über die Schweiz nur<br />
noch <strong><strong>de</strong>r</strong> Kopf geschüttelt wird. Je mehr die Leute im sogenannten<br />
Ausland von uns wissen, um so weniger verstehen<br />
sie uns; das ist nicht ein Imageproblem, das mit irgendwelchen<br />
Imagekorrekturen o<strong><strong>de</strong>r</strong> mit Verbesserungen zu lösen<br />
ist, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n in<strong>de</strong>m wir uns mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Realität besser auseinan<strong><strong>de</strong>r</strong>setzen.<br />
Die Frage ist dann nicht, ob die Schweiz noch regierungsfähig<br />
sei, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n die Frage ist: Wie steht es um die<br />
Schweiz?<br />
Dann kommt die zweite Frage: Was müssen wir tun?<br />
Wenn Herr Pelli und an<strong><strong>de</strong>r</strong>e Bürgerliche in diesem Zusammenhang<br />
interessanterweise von «System» re<strong>de</strong>n, fällt mir<br />
auf, dass 1968 viele Linke von «System» gesprochen haben<br />
und die Antwort bekommen haben, sie müssten an die Menschen<br />
<strong>de</strong>nken und weniger ans System.<br />
Dann <strong>de</strong>nke ich auch, dass heute nicht das System das Problem<br />
ist, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n die personelle Zusammensetzung z. B. im<br />
Bun<strong>de</strong>srat, wo sich die Mitglie<strong><strong>de</strong>r</strong> menschlich offenbar gar<br />
nichts mehr zu sagen haben, von <strong>de</strong>nen man kaum sieht,<br />
dass sie sich als Gruppe verstehen, dass sie miteinan<strong><strong>de</strong>r</strong> am<br />
gleichen Strick ziehen. Dann ist nicht das System das Problem,<br />
son<strong><strong>de</strong>r</strong>n die Menschen sind es.<br />
Wir müssen uns aber auch fragen, weshalb wir das bei einer<br />
solchen Geschäftsberichtsdiskussion vielleicht zwar sagen<br />
können, aber als einziges Parlament <strong><strong>de</strong>r</strong> Welt keine Möglichkeiten<br />
haben, daraus Konsequenzen zu ziehen. Dann könnte<br />
man darüber nach<strong>de</strong>nken – wie das die SPK mehrheitlich gemacht<br />
hat –, ob wir z. B. nicht ein Recht bekommen sollten,<br />
einen Misstrauensantrag zu stellen. Damit könnten wir über<br />
die Wie<strong><strong>de</strong>r</strong>wahl <strong><strong>de</strong>r</strong> Regierung in <strong>de</strong>m Moment diskutieren,<br />
wo die Krise da ist – und nicht alle vier Jahre, womit diese<br />
Diskussion zu einem Ritual verkommt. Ich weiss, die SPK hat<br />
dafür eine knappe Mehrheit gefun<strong>de</strong>n. Ich frage mich, ob sie<br />
hier auch eine Mehrheit fin<strong>de</strong>t. Hier sollten wir dieses Recht<br />
min<strong>de</strong>stens be<strong>de</strong>nken, diese Möglichkeit, nicht nur zu reklamieren<br />
und zu wettern, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n daraus auch Konsequenzen<br />
zu ziehen. Es ist in diesem Zusammenhang zu sehen.<br />
Wir müssen die Realität, die Misere, einmal feststellen. Das<br />
ist <strong><strong>de</strong>r</strong> erste Schritt auf <strong>de</strong>m Weg zur Besserung. Einfach zu<br />
sagen – nur weil <strong><strong>de</strong>r</strong> Geschäftsbericht neu formuliert, neu<br />
strukturiert ist –, die Regierung habe alles gut gemacht, während<br />
uns gleichzeitig die Bürger «davonlaufen», geht meiner<br />
Meinung nach nicht. Da wer<strong>de</strong>n auch neue Strukturen keine<br />
Verbesserung herbeiführen, weil die Realität, die heute meiner<br />
Meinung nach viel schwieriger, viel zerklüfteter, viel zerbrochener<br />
ist, nicht zur Kenntnis genommen wird. Viel mehr<br />
Menschen trauen uns gar nichts mehr zu. Die Politik ist in einer<br />
Art entmachtet wor<strong>de</strong>n, die uns viel mehr zu <strong>de</strong>nken geben<br />
sollte, als es hier in diesem Geschäftsbericht von seiten<br />
<strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>srates geschieht.<br />
Ich entschuldige mich, dass ich Ihnen nichts Besseres sagen<br />
kann. Aber wie ich am Anfang zu sagen versuchte, ist es viel<br />
wichtiger, in einem schwierigen Moment ehrlich und offen zu<br />
sein und mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Kritik nicht hinter <strong>de</strong>m Berg zu halten, als<br />
sich im falschen Moment zu drücken und lieb zu sein; <strong>de</strong>nn<br />
man sollte eigentlich in einem Parlament aus seiner Überzeugung<br />
kein Hehl machen müssen.<br />
Präsi<strong>de</strong>ntin: Ich benutze die Gelegenheit, um unserem Kollegen<br />
Max Dünki zu seinem Geburtstag zu gratulieren;<br />
ebenso unserem Kollegen Toni Dettling. Viel Glück! (Beifall)<br />
Dünki Max (U, ZH): Ich benütze die Gelegenheit, Ihnen für<br />
die Glückwünsche herzlich zu danken.<br />
Ich spreche im Namen <strong><strong>de</strong>r</strong> LDU/EVP-Fraktion. Wie Sie wissen,<br />
gehöre ich zu <strong>de</strong>n amtsältesten Mitglie<strong><strong>de</strong>r</strong>n <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong>zeitigen<br />
GPK. Darum gestatte ich mir, einige Gedanken über die<br />
Arbeit unserer GPK anzustellen und zu äussern.<br />
Ich stelle fest, dass das Interesse an <strong><strong>de</strong>r</strong> Behandlung <strong>de</strong>s Geschäftsberichtes<br />
im Plenum von Jahr zu Jahr mehr schwin<strong>de</strong>t.<br />
Ich verweise auf die Präsenz in diesem Saal. Sie ist wirklich<br />
mager. Die GPK hat sich alle Mühe gegeben, sich mit<br />
<strong>de</strong>n Berichten auseinan<strong><strong>de</strong>r</strong>zusetzen und einige aktuelle und<br />
heikle Grundsatzprobleme mit <strong>de</strong>n Departementsvorstehern