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Amtliches Bulletin der Bundesversammlung Bulletin officiel de l ...

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OSCE/Conseil <strong>de</strong> l’Europe. Rapports 896 N 2 juin 1997<br />

Dieses «Lernstück» Albanien ist in unserer Diskussion noch<br />

zuwenig zum Ausdruck gekommen. Man sollte also <strong>de</strong>m<br />

Europarat nicht – wie man das im Stän<strong><strong>de</strong>r</strong>at etwa gemacht<br />

hat – vorwerfen, dass er zuviel mache. Man muss sich vielmehr<br />

fragen, wie man ihn dazu bewegen kann, noch viel<br />

mehr das zu tun, was er tun sollte, nämlich solche Implosionen<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Gesellschaft und <strong>de</strong>s Staates zu vermei<strong>de</strong>n und<br />

viel mehr an diesem gemeinsamen Lernprozess zu arbeiten.<br />

Europa krankt heute daran, dass sich viel zu viele <strong><strong>de</strong>r</strong> Län<strong><strong>de</strong>r</strong>,<br />

die nicht in <strong><strong>de</strong>r</strong> EU sind – sie machen heute das «40-<br />

Staaten-Europa» aus –, vernachlässigt fühlen. Sie haben<br />

das Gefühl, dass man sich nur aus einem kurzfristigen Interesse<br />

heraus um sie kümmert und nicht aus einem langfristigen,<br />

gemeinsamen Interesse.<br />

Herr Maspoli, wenn <strong><strong>de</strong>r</strong> Europarat in Albanien scheitert, hat<br />

das zur Folge, dass im Kanton Tessin plötzlich zwölfmal<br />

mehr Albaner um Asyl nachsuchen als noch vor einem Jahr.<br />

Das zeigt auch, wie unser Schicksal mit jenem an<strong><strong>de</strong>r</strong>er verknüpft<br />

ist. Wir dürfen nicht glauben, dass uns das nichts anginge.<br />

In <strong>de</strong>m Zusammenhang habe ich zwei ganz wichtige Fragen<br />

an Herrn Bun<strong>de</strong>srat Cotti:<br />

1. Der grosse Unterschied zur OSZE ist <strong><strong>de</strong>r</strong>, dass wir Parlamentarier<br />

nicht nur zwischen Regierungen arbeiten können,<br />

son<strong><strong>de</strong>r</strong>n auch zwischen Parlamentariern, und dass wir als<br />

Parlamentarier auch Dinge sagen können, welche die Regierungen<br />

nicht sagen dürfen. Wir Parlamentarier haben <strong>de</strong>n<br />

Eindruck, dass das Ministerkomitee diese Fähigkeit <strong><strong>de</strong>r</strong> Parlamentarischen<br />

Versammlung oft zu geringschätzt und die<br />

Parlamentarische Versammlung zu wenig in die Lage versetzt,<br />

diese Arbeit zu leisten.<br />

2. Viele <strong><strong>de</strong>r</strong> Minister stellen die OSZE in <strong>de</strong>n Vor<strong><strong>de</strong>r</strong>grund,<br />

weil sie dort untereinan<strong><strong>de</strong>r</strong> arbeiten können, während es mit<br />

<strong>de</strong>n Parlamentariern immer ein bisschen zu mühsam ist.<br />

Ich fin<strong>de</strong> es wichtig, dass Sie im Sinne einer Klärung zu <strong>de</strong>n<br />

bei<strong>de</strong>n Fragen bzw. Feststellungen Stellung nehmen können.<br />

Sicher, Frau Präsi<strong>de</strong>ntin, ist es so, dass die Parlamentarier<br />

manchmal mühsam sind, aber sie haben nicht nur manchmal<br />

<strong>de</strong>n Kopf über <strong>de</strong>n Wolken, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n auch die Füsse auf <strong>de</strong>m<br />

Bo<strong>de</strong>n. Sie sehen Dinge und können Dinge sagen, welche<br />

die Regierungen nicht sagen können. Gleichzeitig können sie<br />

auch an Lernprozessen arbeiten mit Menschen, welche die<br />

Minister gar nicht erreichen. Deshalb wäre es falsch, das<br />

gegeneinan<strong><strong>de</strong>r</strong> auszuspielen, und es wäre falsch, die Parlamentarische<br />

Versammlung wegen fehlen<strong><strong>de</strong>r</strong> Ressourcen<br />

daran zu hin<strong><strong>de</strong>r</strong>n, diese ganz entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>, wichtige<br />

Arbeit – das Zusammenwachsen jener in Europa, die zusammengehören,<br />

von Moskau bis Gibraltar – vorzunehmen.<br />

Herr Bun<strong>de</strong>srat, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie uns hier<br />

mehr unterstützen wür<strong>de</strong>n.<br />

Vermot Ruth-Gaby (S, BE): Ich kommentiere als Mitglied <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Schweizer Delegation im Europarat drei Punkte <strong>de</strong>s Berichtes,<br />

weil auf <strong>de</strong>n gesamten Bericht sehr viel eingegangen<br />

wur<strong>de</strong>. Ich sehe mich übrigens sehr schlecht als Lehrmeisterin<br />

in Sachen Demokratie für an<strong><strong>de</strong>r</strong>e Län<strong><strong>de</strong>r</strong>.<br />

1. Im Rahmen einer sinnvollen Erweiterung hat <strong><strong>de</strong>r</strong> Europarat<br />

Armenien, Georgien und Aserbaidschan <strong>de</strong>n Status von<br />

Son<strong><strong>de</strong>r</strong>gästen erteilt. Armenien und Aserbaidschan sind verfein<strong>de</strong>t.<br />

Für <strong>de</strong>n gegenwärtigen Krieg steht symbolisch das<br />

Wort Karabach.<br />

Eine Son<strong><strong>de</strong>r</strong><strong>de</strong>legation, <strong><strong>de</strong>r</strong> ich als Mitglied für Armenien angehörte,<br />

hat in Armenien und Aserbaidschan Flüchtlinge und<br />

Flüchtlingscamps besucht und feststellen müssen, dass die<br />

Situation <strong><strong>de</strong>r</strong> Flüchtlinge und zum Teil auch <strong><strong>de</strong>r</strong> Bevölkerung<br />

in <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Län<strong><strong>de</strong>r</strong>n äusserst alarmierend ist. Es fehlt für<br />

die Flüchtlinge an Unterkünften, an Medikamenten und an<br />

Strom. Die Kin<strong><strong>de</strong>r</strong> können oft nicht zur Schule, und Arbeitsplätze<br />

gibt es kaum. Die Regierungen – vor allem aber auch<br />

die Nichtregierungsorganisationen und die internationalen<br />

Organisationen – bemühen sich jedoch ernsthaft, das<br />

Schicksal <strong><strong>de</strong>r</strong> Flüchtlinge zu lin<strong><strong>de</strong>r</strong>n. Allerdings mit wenig Erfolg,<br />

<strong>de</strong>nn die europäische Staatengemeinschaft ist am<br />

schwelen<strong>de</strong>n Konflikt vor ihrer Haustür nur lau interessiert.<br />

Und wie so oft geht sie mit Pulverfässern in <strong><strong>de</strong>r</strong> Nachbarschaft<br />

ziemlich unbedarft um.<br />

Der Gästestatus im Europarat hat daher eine wichtige Be<strong>de</strong>utung.<br />

Die Delegationsmitglie<strong><strong>de</strong>r</strong> dieser drei Staaten sind<br />

uns als Partnerinnen und Partner nähergerückt: Sie sind Gesprächs-<br />

und Verhandlungspartnerinnen und -partner gewor<strong>de</strong>n.<br />

Vielleicht kann hier <strong><strong>de</strong>r</strong> Europarat mit entsprechen<strong>de</strong>n<br />

Beitrittsbedingungen eine Vermittlungsrolle im noch nicht existenten<br />

Frie<strong>de</strong>nsprozess übernehmen. Vielleicht wäre dies<br />

auch eine Aufgabe, die die Schweiz vermehrt wahrnehmen<br />

könnte.<br />

2. Das Instrument <strong>de</strong>s Monitoring soll aufzeigen, ob Menschenrechte<br />

eingehalten wer<strong>de</strong>n, ob die Rechtsprechung korrekt<br />

angewen<strong>de</strong>t wird, ob Menschen nicht erniedrigend behan<strong>de</strong>lt<br />

wer<strong>de</strong>n und ob die <strong>de</strong>mokratische Sicherheit gewährleistet<br />

wird. Ich habe meine Zweifel an <strong><strong>de</strong>r</strong> korrekten Nutzung<br />

dieses wichtigen Instrumentes, vor allem wenn ich die Situation<br />

in <strong><strong>de</strong>r</strong> Türkei anschaue, die immer wie<strong><strong>de</strong>r</strong> mit gravieren<strong>de</strong>n<br />

Menschenrechtsverletzungen in die Schlagzeilen gerät.<br />

Jüngstes Beispiel ist jetzt wie<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Krieg <strong><strong>de</strong>r</strong> türkischen<br />

Armee in Südkurdistan mit <strong>de</strong>n vielen zivilen Opfern. Die Türkei<br />

wird für ihre Übergriffe im Europarat – wenn überhaupt –<br />

bloss gerügt, jedoch kaum mit einschnei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Sanktionen<br />

belegt, wie dies längst dringend <strong><strong>de</strong>r</strong> Fall sein müsste.<br />

Da die Schweiz kürzlich ihre Beziehungen zu diesem Land<br />

erneuert hat, sollte die Frage nach <strong>de</strong>n Menschenrechten in<br />

allen diplomatischen und wirtschaftlichen bzw. asylpolitischen<br />

Beziehungen gestellt und beantwortet wer<strong>de</strong>n. Ich<br />

hoffe, dass die neue Monitoringkommission ihre Aufgabe<br />

entschie<strong>de</strong>ner wahrnimmt.<br />

3. Auch im vergangenen Jahr haben sich <strong><strong>de</strong>r</strong> Europarat und<br />

das Ministerkomitee mit <strong>de</strong>n Grausamkeiten <strong>de</strong>s Frauenhan<strong>de</strong>ls,<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Kin<strong><strong>de</strong>r</strong>prostitution und <strong><strong>de</strong>r</strong> Kin<strong><strong>de</strong>r</strong>arbeit befasst.<br />

Dass hier die Menschenrechte massiv verletzt wer<strong>de</strong>n, wird<br />

lei<strong><strong>de</strong>r</strong> nur dann <strong>de</strong>utlich, wenn beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s gemeine und grausame<br />

Fakten öffentlich wer<strong>de</strong>n. Das Interesse erlischt mit<br />

<strong>de</strong>m Mangel an weiterem Schreckensmaterial. Die einzelnen<br />

Staaten sehen sich mehrheitlich ausserstan<strong>de</strong>, <strong>de</strong>n einträglichen<br />

Frauen- und Kin<strong><strong>de</strong>r</strong>han<strong>de</strong>l zu verhin<strong><strong>de</strong>r</strong>n; die Schweiz<br />

glänzt ebenfalls nicht durch rigorose Massnahmen. Auch hier<br />

muss <strong><strong>de</strong>r</strong> Europarat – dafür ist er auch zuständig – weiterhin<br />

Massnahmen vorschlagen und gegen diesen Frauen- und<br />

Kin<strong><strong>de</strong>r</strong>han<strong>de</strong>l vorgehen.<br />

Noch eine Schlussbemerkung: In Schulen, Vereinen und Organisationen<br />

begegne ich regelmässig <strong><strong>de</strong>r</strong> Frage, wofür es<br />

<strong>de</strong>n Europarat <strong>de</strong>nn eigentlich gebe. Es scheint, dass es uns<br />

kaum gelingt zu vermitteln, dass die brennen<strong>de</strong>n Themen –<br />

verletzte Menschenrechte, Rassismus, Diskriminierungen im<br />

Arbeitsbereich, Fragen <strong>de</strong>s Min<strong><strong>de</strong>r</strong>heitenschutzes, soziale<br />

und <strong>de</strong>mokratische Defizite, die Integration von Auslän<strong><strong>de</strong>r</strong>innen<br />

und Auslän<strong><strong>de</strong>r</strong>n o<strong><strong>de</strong>r</strong> die Bedingungen für eine nachhaltig<br />

geschützte Umwelt – nur staatenübergreifend bearbeitet<br />

wer<strong>de</strong>n können. Die Medien sind beim Europarat meist abwesend,<br />

die Öffentlichkeit ist uninformiert. Ist <strong>de</strong>m so, weil<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Europarat die immer gleichen gesellschaftlichen<br />

Schmud<strong>de</strong>lthemen, die nirgends wirklich gelöst wer<strong>de</strong>n und<br />

immer wie<strong><strong>de</strong>r</strong> erscheinen, aufrollt?<br />

Das bedauerliche Schattendasein <strong>de</strong>s Europarates ist<br />

schlimm. Er müsste aus seiner Reserve heraustreten, weniger<br />

leise und weniger zögerlich sein und seine Rolle als Vernetzer,<br />

als Verhandler und als Vermittler ernsthafter wahrnehmen;<br />

dies ganz im Sinne einer moralischen Kraft – wie<br />

Frau Gren<strong>de</strong>lmeier gesagt hat –, die aber ihre Definitionsmacht<br />

nachhaltig nutzt.<br />

Mühlemann Ernst (R, TG), Berichterstatter: Ich danke allen<br />

Votanten, dass sie sich ernsthaft mit <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n europapolitischen<br />

Institutionen auseinan<strong><strong>de</strong>r</strong>gesetzt haben, die uns<br />

heute zur Verfügung stehen. Ich danke beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s auch für<br />

die kritischen Voten von Frau Gren<strong>de</strong>lmeier, Herrn Maspoli<br />

und Herrn Columberg. Es ist wichtig, dass wir uns in diesem<br />

Saal nicht nur mit finanz- und wirtschaftspolitischen Problemen<br />

auseinan<strong><strong>de</strong>r</strong>setzen und militärpolitische Fragen lösen,<br />

son<strong><strong>de</strong>r</strong>n dass wir hie und da auch <strong>de</strong>n Mut haben, Dinge anzugehen,<br />

die im geistigen Bereich liegen und die in Institutio-<br />

<strong>Bulletin</strong> <strong>officiel</strong> <strong>de</strong> l’Assemblée fédérale

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