17.12.2012 Aufrufe

Amtliches Bulletin der Bundesversammlung Bulletin officiel de l ...

Amtliches Bulletin der Bundesversammlung Bulletin officiel de l ...

Amtliches Bulletin der Bundesversammlung Bulletin officiel de l ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

9. Juni 1997 N 1079 Berufsbildung<br />

nicht? Wir leben in einer Welt, die immer mehr globalisiert<br />

wird. Da hat ein kantonales Schreinerpatent keinen Platz.<br />

Wollen wir am Schluss kantonale Schreinerpatente? Jetzt<br />

muss man das einmal gründlich sagen. Auch wenn je<strong><strong>de</strong>r</strong> Erziehungsdirektor,<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> irgendwo in einer Kommission sitzt,<br />

sagt: «Nein, nein, so ist es nicht!» – es ist so! Es führt nach<br />

zehn Jahren dazu, dass es kantonale Patente gibt. So etwas<br />

dürfen wir nicht mehr weiter betreiben!<br />

Es gibt noch eine zweite Ten<strong>de</strong>nz, Herr Bun<strong>de</strong>srat, die man<br />

kritisieren muss: Der Bund schleicht sich Jahr für Jahr mehr<br />

aus <strong><strong>de</strong>r</strong> Berufsbildung heraus. Das Parlament – ich gehöre<br />

auch dazu und kritisiere mich auch – nimmt in <strong>de</strong>n Budgets<br />

Kürzungen vor, weil je<strong><strong>de</strong>r</strong> kürzen muss. Ein paar Monate<br />

später veranstalten wir eine Riesenübung und bewilligen<br />

60 Millionen Franken im Sofortprogramm für die Berufsbildung.<br />

Das ist eine Zickzackpolitik, die niemand mehr versteht!<br />

Niemand mehr versteht sie! Dieses Parlament muss es<br />

langsam begreifen: Hören wir doch auf, uns aus <strong><strong>de</strong>r</strong> Berufsbildung<br />

herauszuschleichen! Es ist das Schlechteste, was wir<br />

tun können!<br />

Ich muss Ihnen zum Schluss noch etwas sagen: Ich habe<br />

eine kleine Differenz zur WBK. Ich bin mit allem einverstan<strong>de</strong>n,<br />

nur mit einem Punkt nicht: Ich bekämpfe die I<strong>de</strong>e, ein<br />

Bun<strong>de</strong>samt für Bildung zu schaffen. Ich for<strong><strong>de</strong>r</strong>e – ich gebe<br />

heute eine entsprechen<strong>de</strong> Motion ein – ein Bun<strong>de</strong>samt für<br />

Berufsbildung. Die Berufsbildung betrifft <strong>de</strong>n grossen Teil <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Schulabgängerinnen und Schulabgänger. Wenn Sie alle Berufe<br />

zusammenfassen – aus Landwirtschaft, Gesundheit,<br />

Forstwirtschaft, alle gewerblichen und industriellen Berufe –,<br />

dann haben Sie einen Riesenkuchen; die einzelnen Teile<br />

sind bisher immer in irgen<strong>de</strong>inem Amt versteckt gewesen.<br />

Man hat diesen Bereich – ich sage es etwas kritisch – oft zuwenig<br />

betreut, als dass die Betroffenen die Zukunft hätten<br />

bewältigen können. Hier bitte ich Sie, sich zu überlegen, Herr<br />

Bun<strong>de</strong>srat, wie man <strong><strong>de</strong>r</strong> Berufsbildung in Zukunft das nötige<br />

Gewicht geben kann.<br />

Ich bitte Sie aber, die übrigen Motionen <strong><strong>de</strong>r</strong> WBK zu überweisen.<br />

Das sind Schritte in die richtige Richtung.<br />

Gusset Wilfried (F, TG): Die Position <strong><strong>de</strong>r</strong> Fraktion <strong><strong>de</strong>r</strong> Freiheits-Partei<br />

hat Herr Moser erörtert. Ich stehe als Lehrmeister<br />

vor Ihnen.<br />

In beinahe allen bisherigen Voten stand die Sorge um die<br />

fehlen<strong>de</strong>n Ausbildungsplätze für Schulabgänger im Vor<strong><strong>de</strong>r</strong>grund.<br />

Die Eidgenössische Kommission für Jugendfragen<br />

vermerkt in ihrer Stellungnahme, dass sie über <strong>de</strong>n Rückgang<br />

<strong>de</strong>s Angebotes an guten Ausbildungsplätzen besorgt<br />

ist. Nicht einmal an<strong>de</strong>utungsweise weist sie darauf hin, dass<br />

das Angebot von Lehrstellen in direktem Zusammenhang<br />

zum Ausbildungsstand <strong><strong>de</strong>r</strong> Schulabgänger steht. Als wichtigstes<br />

Auswahlkriterium für neu Auszubil<strong>de</strong>n<strong>de</strong> gilt für Lehrbetriebe<br />

und verantwortliche Lehrmeister noch immer die<br />

Schulbildung, die unser Schulsystem <strong>de</strong>m einzelnen als<br />

Startkapital mitgibt. Dort liegen meiner Ansicht nach die<br />

Hauptgrün<strong>de</strong>, dass viele Schulabgänger keinen Ausbildungsplatz<br />

fin<strong>de</strong>n. Unser heutiges Schulsystem, in <strong>de</strong>m die<br />

Klassen stark mit Fremdsprachigen durchsetzt sind, ist nicht<br />

mehr in <strong><strong>de</strong>r</strong> Lage, je<strong>de</strong>n Schulabgänger optimal und seinen<br />

tatsächlichen Fähigkeiten entsprechend auf das Berufsleben<br />

vorzubereiten.<br />

Gera<strong>de</strong> diese Ausgangslage verträgt sich angesichts <strong><strong>de</strong>r</strong> zunehmen<strong>de</strong>n<br />

Globalisierung <strong><strong>de</strong>r</strong> Wirtschaft und <strong><strong>de</strong>r</strong> weltweiten<br />

Konkurrenz schlecht mit <strong>de</strong>m Ziel, die fachlichen Grundvoraussetzungen<br />

für unsere Lehrlinge zu senken. Das Ziel kann<br />

nicht heissen, dass je<strong><strong>de</strong>r</strong> Ausbildungswillige eine Lehrstelle<br />

fin<strong>de</strong>t, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n dass die fachliche Kompetenz <strong>de</strong>s Werkplatzes<br />

Schweiz in Zukunft gesichert und erhalten bleibt.<br />

Gera<strong>de</strong> für eine solche erfolgreiche Zukunft wird die Meisterlehre<br />

mit ihrem Auswahlverfahren, das durchaus auch Schwächeren<br />

eine Chance lässt, weiterhin ihren Teil beitragen.<br />

Es macht <strong>de</strong>shalb keinen Sinn, <strong>de</strong>n Lehrmeistern und Lehrbetrieben<br />

– ob offen o<strong><strong>de</strong>r</strong> ver<strong>de</strong>ckt – vorzuwerfen, sie wür<strong>de</strong>n<br />

ihren Verpflichtungen <strong><strong>de</strong>r</strong> Jugend gegenüber nicht nachkommen;<br />

es ist klar, dass nur bestausgewiesene Spezialisten<br />

<strong>de</strong>n Bestand unseres Werkplatzes Schweiz sichern können.<br />

<strong>Amtliches</strong> <strong>Bulletin</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Bun<strong>de</strong>sversammlung</strong><br />

Je<strong><strong>de</strong>r</strong> Lehrmeister ist meist auch Unternehmer o<strong><strong>de</strong>r</strong> hat die<br />

Pflicht, unternehmerisch zu <strong>de</strong>nken und mit <strong>de</strong>m beruflichen<br />

Nachwuchs <strong>de</strong>n Weiterbestand <strong>de</strong>s Berufsstan<strong>de</strong>s und <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Unternehmung sicherzustellen.<br />

Speziell mit Blick darauf sind die For<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen nach einem<br />

modularen Ausbildungskonzept mit Vorsicht zu geniessen.<br />

Die Gefahr besteht, dass wir am Schluss viele haben, die alles<br />

ein bisschen können, und nieman<strong>de</strong>n, <strong><strong>de</strong>r</strong> etwas richtig<br />

kann, <strong><strong>de</strong>r</strong> sein Fachgebiet richtig beherrscht. Unser Ausbildungssystem<br />

mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Meisterlehre hat auch in Zukunft <strong>de</strong>n<br />

beruflichen Nachwuchs anfor<strong><strong>de</strong>r</strong>ungs- und mengengerecht<br />

sicherzustellen. Dies können staatliche För<strong><strong>de</strong>r</strong>ungs- und Anreizsysteme<br />

nicht übernehmen.<br />

Neuerungen, Verbesserungen, Verfeinerungen und Anpassungen<br />

in unserem Ausbildungskonzept mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Meisterlehre:<br />

einverstan<strong>de</strong>n; Halbverstaatlichung, dirigistische Interventionen<br />

<strong>de</strong>s Staates: nein! Das wer<strong>de</strong>n we<strong><strong>de</strong>r</strong> unsere Lehrmeister<br />

noch unsere Wirtschaft mittragen.<br />

Ich wünsche uns allen je<strong>de</strong>nfalls nicht, dass wir <strong><strong>de</strong>r</strong>einst von<br />

Sanitärinstallateuren, Spenglern, Maurern, Bäckern, Metzgern,<br />

Mechanikern – und wie sie allen heissen – abhängig<br />

sind, die ihre Ausbildung in einer staatlich geführten Ausbildungseinrichtung<br />

ohne – o<strong><strong>de</strong>r</strong> mit mangeln<strong>de</strong>m – Bezug zur<br />

Praxis erhalten haben!<br />

Jans Armin (S, ZG): Heute haben 18 Prozent aller Zwanzigjährigen<br />

ein Gymnasium durchlaufen und ein Maturitätszeugnis<br />

erworben. Die Ten<strong>de</strong>nz ist steigend; 1980 waren es erst<br />

11 Prozent. Rund zwei Drittel eines Jahrgangs absolvieren<br />

eine Berufslehre; die Ten<strong>de</strong>nz ist seit 1987, wie Sie wissen,<br />

fallend.<br />

Meine Frage, die ich daraus ableite, ist folgen<strong>de</strong>: Sollen in<br />

Zukunft immer mehr junge Leute ihre Schulbildung mit <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Matura abschliessen? Wollen wir Maturaquoten wie in<br />

Deutschland – über 30 Prozent – o<strong><strong>de</strong>r</strong> gar wie in Frankreich<br />

anstreben? Bisher lautete die Antwort darauf stets nein. Am<br />

präzisesten hat das meines Wissens <strong><strong>de</strong>r</strong> Wissenschaftsrat in<br />

seinen 13 Thesen zu <strong>de</strong>n Reformen <strong><strong>de</strong>r</strong> nachobligatorischen<br />

Ausbildung im April 1992 ausgedrückt; er sagt, weniger als<br />

20 Prozent eines Jahrganges sollten eine gymnasiale Matura<br />

erlangen, langfristig sollten gleich viele junge Leute eine Berufsmatura<br />

erreichen.<br />

Bei <strong><strong>de</strong>r</strong> gymnasialen Matura sind wir schon fast bei dieser<br />

Grenze angelangt, und so lautet die entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Frage aus<br />

meiner Sicht: Genügen die im Berufsbildungsbericht aufgeführten<br />

Massnahmen, um <strong>de</strong>n Trend zu <strong>de</strong>n Gymnasien jetzt<br />

wirkungsvoll abzubremsen und für die Berufsbildung weiterhin<br />

genügend viele leistungsfähige Jugendliche zu erhalten?<br />

O<strong><strong>de</strong>r</strong> drastischer ausgedrückt: Wird die Berufsbildung im<br />

Laufe <strong><strong>de</strong>r</strong> kommen<strong>de</strong>n Jahre nicht immer weiter zurückgedrängt?<br />

Ziehen sich die Banken, die Versicherungen und die<br />

international orientierte Industrie zurück, in<strong>de</strong>m sie anstelle<br />

von Lehrlingen lieber Maturandinnen und Maturan<strong>de</strong>n rekrutieren<br />

und mittels Praktika in die Berufswelt einführen? Wird<br />

auf diese Weise die Lehre ein Weg, <strong><strong>de</strong>r</strong> hauptsächlich noch<br />

zu handwerklich-gewerblichen Berufen führen wird?<br />

In <strong>de</strong>n letzten Jahren wur<strong>de</strong> zwar einiges unternommen, um<br />

<strong>de</strong>n Trend zum Gymnasium zu stoppen; Berufsmatura,<br />

Fachhochschulen sind zu nennen. Diese Reformen sind dringend<br />

nötig, nur schon, um europäischen Anfor<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen an<br />

die Diplome zu genügen. Aber – das wur<strong>de</strong> hier auch schon<br />

gesagt – es war bisher eine Reform von oben, es wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>m<br />

Bestehen<strong>de</strong>n aufgepfropft. Nötig ist eine Reform von unten,<br />

von <strong><strong>de</strong>r</strong> Basis her. Das gesamte Berufsbildungssystem muss<br />

reformiert und weiterentwickelt wer<strong>de</strong>n, und zwar nicht nur<br />

mittels <strong><strong>de</strong>r</strong> 37 im Bericht aufgeführten Massnahmen. Es fehlt<br />

dringend eine weiterführen<strong>de</strong> Perspektive.<br />

Attraktiver wird die Berufsbildung nur, wenn sie folgen<strong>de</strong> vier<br />

Eigenschaften besitzt:<br />

1. Sie muss flexibel sein. Stichwort: berufsfeldorientierte<br />

Ausbildung; <strong>de</strong>nn rund die Hälfte <strong><strong>de</strong>r</strong> Vierzigjährigen arbeitet<br />

nicht mehr im angestammten Beruf.<br />

2. Sie muss transparent sein. Wir erinnern uns an das Desaster<br />

mit <strong>de</strong>m Lehrstellenmarkt, bei <strong>de</strong>m wir lange keine nationale<br />

Übersicht über das hatten, was überhaupt läuft.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!