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Luhmann, Niklas<br />

verschiedenen Teilsystemen, die eine je unterschiedliche – nicht füreinander substituierbare – funktionelle<br />

Bedeutung haben und auf der selben Ebene ohne hierarchische Beziehung zueinander stehen.<br />

Die Gesellschaft differenziert sich in Teilsysteme, die nicht mehr durch eine gemeinsame Grundsymbolik<br />

integriert werden können, sondern die einzelnen Teilsysteme operieren aus ihrer je eigenen<br />

Perspektive – aus ihren je eigenen Leitdifferenzen – heraus (vgl. Münch, 2004, S. 204; Kneer &<br />

Nassehi, 1997, S. 131f).<br />

Zu diesen beobachtungsleitenden Unterschieden schreibt Luhmann (1989, S. 430 zitiert in: Kneer<br />

& Nassehi, 1997, S. 132): „Man sieht jetzt deutlich, dass die Funktionssysteme sich nicht nur über<br />

eigene Kriterien des Richtigen, also nicht nur über Gesamtformeln ihrer Programme (Friede bzw.<br />

Gemeinwohl, Wohlstand, Bildung, Gerechtigkeit etc.) ausdifferenzieren, sondern dass dies primär<br />

über binäre Codes [Hervorhebung durch Kneer & Nassehi] geschieht“ (Luhmann, 2005, S. 264).<br />

Der Begriff des binären Codes kennt nur zwei Werte und schließt dritte Möglichkeiten aus. Die<br />

Zweiwertigkeit der binären Codes ist für die Beobachtung der Teilsysteme das leitende Schema. So<br />

unterschiedet das Teilsystem des Rechts nach recht/unrecht, die Wissenschaft nach wahr und unwahr<br />

usw. Wichtig ist zu bedenken, dass die in<br />

"den binären Codierungen enthaltenen Unterscheidungen nicht irgendwelchen kontingenten<br />

Beobachtungsgeneratoren sind, die in der Wirtschaft, in der Politik, im Recht usw. neben anderen<br />

vorkommen. Sie kommen nicht in den Systemen vor, sondern sie sind [Hervorhebungen<br />

durch Kneer & Nassehi] es letztendlich, die die jeweiligen Teilsysteme als soziale Systeme<br />

konstituieren." 4<br />

Durch die zweiwertige Unterscheidung und den Ausschluss von dritten Möglichkeiten, die diesen<br />

Unterscheidungen nicht unterliegen, ergibt sich in der modernen Gesellschaft, dass bspw. Macht nicht<br />

durch wissenschaftliche Wahrheit gesichert werden kann. Zwar dient wissenschaftliche Erkenntnis<br />

oft zur Begründung politischer Entscheidungen, dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass<br />

diese Beziehungen zwischen den Teilsystemen so geartet sind, dass sie die Grenzen zwischen den<br />

Systemen nicht sprengen (vgl. Kneer & Nassehi, 1997, S. 132f).<br />

Wie oben dargelegt (vgl. 4.6. Autopoiesis), wird die Schließung der Teilsysteme durch den Code<br />

und die spezifische Form der Offenheit durch die Programme gewährleistet. Dabei sind Programmierungen<br />

die Möglichkeit für die operativ geschlossenen Teilsysteme, ihre jeweilige Umwelt in<br />

die eigenen Operationen einzubauen, ohne ihre jeweils spezifische Codierung zu verlassen. Würden<br />

bspw. in einem totalitär geführten Staat nur bestimmte Ergebnisse als erwünscht betrachtet und<br />

andere Ergebnisse durch Repressalien unterdrückt werden, so kann die Wissenschaft trotzdem nicht<br />

aus ihrem Differenzierungsschema wahr/unwahr ausbrechen. Die politischen Vorgaben müssten in<br />

Theorien ausgedrückt werden, die Bedingungen enthalten, warum die Partei Recht hat. Systeme<br />

können nur innerhalb ihrer eigenen Grenzen operieren und sie können ihren Umweltkontakt nur<br />

systemrelativ – mit eigenen Systemoperatoren – herstellen. Dies entspricht einer unaufhebbaren<br />

operativen Differenz zwischen den funktionalen Teilsystemen. Die unterschiedlichen Teilsysteme, die<br />

jeweils durch unterschiedliche binäre Codierungen konstituiert werden, sind nicht die Gesellschaft in<br />

verschiedene Seins-Bereiche differenzierende Unterscheidungen, sondern entsprechen unterschiedlichen<br />

Beobachtungen – hinsichtlich der angewandten Leitdifferenz – der ganzen Welt. „Nicht das<br />

Sein der Welt wird geteilt, sondern es kommt zu unterschiedlichen Beobachtungen [Hervorhebung<br />

im Original]“ (Kneer & Nassehi, 1997, S. 135).<br />

4 Kneer & Nassehi, 1997, S. 132<br />

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