Beschlußempfehlung und Bericht - bundestag.de - Deutscher ...

cc) Nachrichtendienstliche Nutzung des Bereichs Kommerzielle
Koordinierung
Der Untersuchungsausschuß ist im Zuge seiner Beweiserhebung
zu der Überzeugung gekommen, daß
der Bereich Kommerzielle Koordinierung sowohl passiv
für nachrichtendienstliche Zwecke des MfS, vor allem
der HVA, genutzt wurde, als auch aktiv zu einer
Unterstützung dessen nachrichtendienstlicher Aktivitäten
beitrug. Nachrichtendienstliche Aktivitäten
wurden dabei nicht nur durch die HVA, sondern auch
durch bestimmte Abwehrabteilungen des MfS, wie
z.B. die HA XVIII/8, entwickelt.
Während die aktive Unterstützung durch den Bereich
Kommerzielle Koordinierung vor allem aus der Finanzierung
der HVA sowie aus Beschaffungen des Bereichs
Kommerzielle Koordinierung für nachrichtendienstliche
Zwecke der HVA bestand, beinhaltete die
passive Nutzung in erster Linie den Einsatz von Mitarbeitern
und Geschäftpartnern des Bereichs Kommerzielle
Koordinierung für Spionagezwecke, ohne daß
der Bereich Kommerzielle Koordinierung darüber in
jedem Fall informiert war.
Finanzierung der HVA durch den Bereich Kommerzielle
Koordinierung
Wie bereits ausgeführt, wurden durch den Bereich
Kommerzielle Koordinierung Embargowaren-Beschaffungen
der sog. Speziellen Beschaffungsorgane
(SBO) des SWT der HVA, zu denen die Unternehmen
Intertechna, Interport, Impag und Ocom gehörten, gezielt
koordiniert und finanziert. Die Finanzierung lief
dabei entweder über den Handelsbereich 4 (HB 4),
dem die Mittel wiederum über das Betriebsmittelkonto
Nr. 0559 der HA II des Bereichs Kommerzielle Koordinierung
bei der Deutschen Handelsbank AG zur
Verfügung gestellt wurden, oder direkt über Dr.
Schalck-Golodkowski. Auch Gelder vom Unterkonto-
Nr. 606 des Unternehmens Dr. Günther Forgber, das
der SWT zur Bezahlung von Embargolieferanten verwendete,
stammten ausschließlich vom Konto Nr.
0559 des Bereichs Kommerzielle Koordinierung (Dokument-Nr.
129).
Laut Aussage von Wolfram Zahn vor dem Bundeskriminalamt
am 9. Oktober 1991, der eine Koordinationsfunktion
zwischen den SBO, dem Ministerium für
Elektrotechnik und Elektronik und dem Bereich Kommerzielle
Koordinierung einnahm, war sich Dr.
Schalck-Golodkowski darüber im klaren, daß etwa
ein Drittel der von ihm finanzierten Embargowaren-
Beschaffungen nachrichtendienstlich gesteuert war.
Nach Meinung Zahns hat der Bereich Kommerzielle
Koordinierung bzw. Dr. Schalck-Golodkowski ganz
bewußt und gezielt Beschaffungsmaßnahmen der
HVA finanziert.
Neben der gezielten Finanzierung nachrichtendienstlich
gesteuerter Embargowaren-Beschaffungen nahmen
die sog. HVA-Firmen F.C. Gerlach Expo rt-Import,
Carnet und Asimex des Bereichs Kommerzielle
Koordinierung jährlich globale Geldabführungen von
etwa zwei bis 2,25 Mio. DM an die HVA vor. Die Höhe
dieser Abführungen wurde zu Beginn jeden Jahres in
einer Absprache zwischen dem Leiter der HVA, Markus
Wolf bzw. seinem Nachfolger Werner Großmann,
Deutscher Bundestag —12. Wahlperiode Drucksache 12/7600
und Dr. Schalck-Golodkowski festgelegt. Obwohl aus
der vom Minister für Staatssicherheit Erich Mielke unterzeichneten
Regelung vom 1. September 1980 über
das Zusammenwirken von sog. operativen Diensteinheiten
des MIS und dem Bereich Kommerzielle Koordinierung
bezüglich der Anleitung der sog. HVA-Firmen
eindeutig hervorgeht, daß die an die HVA abzuführenden
Gelder der MfS-Unternehmen für die Realisierung
„operativer Zwecke" vorgesehen waren, gaben
sowohl Dr. Schalck-Golodkowski als auch der für
die nachrichtendienstliche Anleitung der sog. HVA-
Firmen zuständige Dr. Rudolf Genschow an, die Gelder
seien lediglich für allgemeine Beschaffungen der
HVA wie Büromaterialen, Ersatzteile für PKW etc.
ausgegeben worden (vgl. Erster Teilbericht, BT
Drucksache 12/3462, Dokument-Nr. 117, S. 885).
Beschaffungsaktivitäten des Bereichs Kommerzielle
Koordinierung für nachrichtendienstliche Zwecke des
MfS
Der Bereich Kommerzielle Koordinierung beschaffte
und finanzierte über den Handelsbereich 4 und die
AG Baude bzw. Wolfram Zahn auch selber Embargowaren
für nachrichtendienstliche Zwecke des MfS.
Laut Aussage des Leiters des HB 4, Gerhardt Ronneberger,
erfolgten seine Beschaffungen für das MfS sowohl
auf der Grundlage offizieller Jahrespläne als auch
im persönlichen Auftrag von Dr. Schalck-Golodkowski.
Während die Jahrespläne, in denen das MfS offiziell
als Bedarfsträger erschien, durch die Koordinierungsgruppe
für die Beschaffung von Mikroelektronik
im Ministerium für Elektrotechnik und Elektronik
(MfEE) bestätigt wurden, handelte - es sich bei den per-
sönlichen Aufträgen Dr. Schalck-Golodkowskis um
Projekte außerhalb des Plans, die direkt vom Bereich
Kommerzielle Koordinierung über das Konto 0528
(Mielke-Konto) finanziert wurden, und von denen die
genannte Koordinierungsgruppe keine Kenntnis hatte.
Die bedeutendste außerplanmäßige Beschaffung dieser
Art war das sog. Objekt X, bei dem der Operativ-
Technische Sektor (OTS) des MfS als Bedarfsträger
fungierte. Laut Aussage Ronnebergers hatte Dr.
Schalck-Golodkowski ihm hinsichtlich dieses Objekts
ausdrücklich die Weisung erteilt, keine dritte Person,
auch nicht den Staatssekretär im Ministerium für Elektrotechnik
und Elektronik, Karl Nendel, in Kenntnis zu
setzen (150. Sitzung, Protokoll S. 19ff.).
Generelle Aufgabe des von Generalmajor Günter
Schmidt geleiteten und dem Stellvertreter Mielkes,
Generalleutnant Dr. Wolfgang Schwanitz, zugeordneten
OTS waren Forschungs- und Entwicklungsarbeiten,
der Musterbau sowie die Kleinserienfertigung
„operativ-technischer Geräte", die Entwicklung von
Mitteln zur chemischen und fototechnischen Nachrichtenübermittlung,
die Durchführung und Erstellung
kriminalistischer und wissenschaftlich-technischer
Expertisen, die Untersuchung und Analyse gegnerischer
Techniken sowie die Beschaffung und Ausstellung
sog. operativer Dokumente, für die die Abteilung
35 zuständig war.
Bei dem „Objekt X" handelte es sich um einen weit
gefächerten Auftrag, der neben Prüf- und Meßtech
nik, Ausrüstungen für die Leiterplattenfertigung, Fo-