Beschlußempfehlung und Bericht - bundestag.de - Deutscher ...

Die belieferten Kombinate waren dem Ministerium
für Elektrotechnik und Elektronik unterstellt und
mußten dort ihren Bedarf an elektronischen Bauelementen
oder Produktionsausrüstungen vor Beginn eines
neuen Planjahres anmelden.
Ein weiterer wichtiger „Bedarfsträger" war neben der
Industrie die Akademie der Wissenschaften. Nach
Angaben des Bundesnachrichtendienstes arbeiteten
alle Forschungseinrichtungen zu 80 Prozent mit westlicher
Meßtechnik. In geringem Umfang zählten auch
die Deutsche Post, das Ministerium des Inneren, das
Ministerium für Nationale Verteidigung und das MfS
zu den Bedarfsträgern.
Die „Bedarfsträger" mußten ihre Importwünsche begründen.
Sie mußten in der „Planverteidigung" darlegen,
welchen Nutzen die von ihnen geforderte Ware
bringen würde und warum es nötig war, sie aus dem
„Nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet" (NSW) einzuführen.
Das war zum Beispiel der Fall, wenn die
Ausrüstung überhaupt nicht, nicht termingerecht
oder in nicht ausreichender Qualität im Ostblock erhältlich
war. Dies wurde nach Angaben des BND jedoch
nicht seriös geprüft. Die Einfuhr aus dem Westen
war aus der Sicht der Kombinatsdirektoren einfacher
als der Bezug aus RGW-Ländern, zumal die Versorgung
mit Ersatzteilen sicherer schien.
Die verantwortlichen Kombinatsdirektoren - unter
anderem Prof. Dr. Heinz Wedler (Kombinat Mikroelektronik
Erfurt), F riedrich Wokurka vermutlich alias
GMS „Wolf" (Kombinat Robotron) und Prof. Dr. Wolfgang
Biermann (Kombinat Carl Zeiss Jena), der Mitglied
im ZK der SED war - arbeiteten eng mit der
Hauptabteilung III des Bereichs Kommerzielle Koordinierung
und dem Leiter des Handelsbereichs 4 des
AHB Elektronik zusammen, der faktisch zum Bereich
Kommerzielle Koordinierung gehörte. Den Kombinatsdirektoren
dürfte bekannt gewesen sein, daß zur
importierten Technologie auch Embargoware gehörte.
b) Ministerium für Elektrotechnik und Elektronik
Eine entscheidende Position beim Import von Embargoware
hatte im Ministerium für Elektrotechnik und
Elektronik (MEE) der Regierungsbeauftragte für die
Mikroelektronik, Karl Nendel, inne. Er war seit 1967
Staatssekretär im MEE. Beteiligt war an den Importvorhaben
auch Werner Engler, der im MEE Sektorenleiter
für Kompensationsinvestitionen und NSW-Importvorhaben
war. Seine Aufgabe bestand darin, die
Investitionsvorhaben entsprechend den Weisungen
auf die Kombinate und Betriebe aufzuteilen, die zum
MEE gehörten.
Nendel gab in Absprache mit dem Bereich Kommerzielle
Koordinierung an den Handelsbereich 4 des
AHB Elektronik Export-Import oder an den Verbindungsmann
zu den Speziellen Beschaffungsorganen
(SBO) des MfS, Wolfram Zahn, die Anweisung zur Beschaffung
von Embargogütern. Die Verantwortung
des MEE bezog sich nahezu ausschließlich auf technische
Aufgaben und die Auswahl der zu importierenden
Güter (Dokument-Nr. 552).
Deutscher Bundestag —12. Wahlperiode Drucksache 12/7600
c) Rolle des Bereichs Kommerzielle Koordinierung
Ein Schwerpunkt der Beweiserhebung durch den Untersuchungsausschuß
war die Frage nach der Verantwortung
von Dr. Schalck-Golodkowski bei der Beschaffung
von Waren, die dem Handelsembargo unterlagen.
In einem Brief an Politbüromitglied Dr. Günter
Mittag zählte Dr. Schalck-Golodkowski 1976 zur
zentralen Aufgabenstellung des Bereichs Kommerzielle
Koordinierung unter anderem:
„Aufgaben zur beschleunigten Entwicklung und
Einführung moderner Technologien, insbesondere
der Mikroelektronik und Robotertechnik in die
Volkswirtschaft der DDR (Finanzierung und Beschaffung
spezieller Ausrüstungen und Technologien,
darunter Embargoerzeugnisse) unter Nutzung
und Ausbau geeigneter Linien und Auslandsverbindungen
des Bereichs. " (Vgl. Erster Teilbericht,
BT-Drucksache 12/3462, Dokumentnummer
100, S. 712)
Während diesem B rief zufolge dem Bereich Kommerzielle
Koordinierung nicht nur hinsichtlich der Finanzierung,
sondern auch bei der Organisation der Beschaffung
von Embargowaren eine wichtige Rolle zukam,
beschrieb Dr. Schalck-Golodkowski in einer
Vernehmung vor der Staatsanwaltschaft bei dem
Kammergericht Berlin die Aufgaben des Bereichs
Kommerzielle Koordinierung bei der Beschaffung so:
„Die Hauptverantwortung des Bereichs Kommerzielle
Koordinierung lag, was den außerplanmäßigen
Import von Geräten, Ausrüstung, Zubehör für
den Bereich der Mikroelektronik anbetraf, im Bereich
der Bereitstellung der
-
Fonds, der Gewährleistung
der Finanzierung, der Sicherung der Beschaffung
und der Abrechnung der Fonds und der Inhalte
gegenüber dem mir unmittelbar vorgesetzten
Leiter."
Hinsichtlich der Frage nach der Rolle des Bereichs
Kommerzielle Koordinierung und der Verantwortung
von Dr. Schalck-Golodkowski kam die Beweiserhebung
dagegen zu deutlichen Ergebnissen:
Dr. Schalck-Golodkowski hatte seit der Gründung
des Bereichs Kommerzielle Koordinierung, verstärkt
aber seit 1986 mit dem Import von Embargowaren zu
tun. Dies hing mit den Beschlüssen des XI. Parteitags
vom April 1986 zur Förderung der Mikroelektronik
zusammen, die dazu führten, daß der Leiter des Bereichs
Kommerzielle Koordinierung weisungsbefugt
für den Handelsbereich 4 des AHB Elektronik Export
Import wurde.
Dr. Schalck-Golodkowski war seit 1986 Vorgesetzter
von Gerhardt Ronneberger, dem Leiter des Handelsbereichs
4. Ronneberger war ihm mit allen Rechten
und Pflichten eines Generaldirektors unterstellt. Er
bekam Weisungen und Aufträge für die Arbeit im
Ausland von Dr. Schalck-Golodkowski, war ihm gegenüber
rechenschaftspflichtig und mußte sich von
ihm alle Auslandsreisen persönlich genehmigen lassen.
Personalfragen wie die Besetzung von Führungspositionen
im Handelsbereich 4 erörterte Dr. Schalck-
Golodkowski mit dem Leiter der Hauptabteilung
XVIII/8 des MfS, Oberst Artur Wenzel.