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Wiederum kann nur der Meisterdetektiv die Verzauberung lösen: durch die abgelegte Beichte<br />

und Holmes’ dringliche Bitte, nicht den Freitod zu wählen, erhält Mrs. Ronder neuen<br />

Lebensmut.<br />

Anders als in allen anderen Erzählungen wählt hier jedoch das Opfer selbst die<br />

Gefangenschaft und die Ausgrenzung aus der Gesellschaft. Die Figur der Mrs. Ronder stellt<br />

somit eine interessante Variante zu den anderen Figuren des Typs mad woman in the attic dar.<br />

Trotzdem benötigt auch sie die Hilfe eines Mannes, um sich zu befreien und ihren Weg ins<br />

Leben zurückzufinden, womit auch in dieser Erzählung patriarchalische Strukturen als<br />

Optimum unterstrichen werden.<br />

Typ W.II.3: Die Verbrecherin<br />

In den Sherlock-Holmes-Stories treten nur sehr wenige weibliche Verbrecher auf. Da Conan<br />

Doyle grundsätzlich die weiblichen Figuren mit den Eigenschaften der Schönheit,<br />

Unterwürfigkeit und Harmlosigkeit schmückt, ist davon auszugehen, dass er den Frauen als<br />

dem „schwachen“ Geschlecht grausame Bluttaten tatsächlich nicht zutraute. Im<br />

viktorianischen Zeitalter wurden Morde und andere Verbrechen, die von Frauen begangen<br />

worden waren, als ganz besonders abscheulich und de facto als widernatürlich und abartig<br />

angesehen. Sowohl der Fall Madeleine Smith, die ihren Geliebten mit einem vergifteten<br />

Kakao tötete, als auch der von Constance Kent, die ihren jüngeren Stiefbruder erstickte,<br />

erregten ganz besonders großes Aufsehen 330 , da es einfach als unmöglich erachtet wurde, dass<br />

die sanfte weibliche Natur zu einem Mord fähig war. Generell interessierte sich die<br />

Gesellschaft im 19. Jh. für Tatsachenberichte über Mord und Totschlag, was letztlich auch die<br />

Entwicklung der sensational novels bestärkte: „Every good Victorian murder helped<br />

legititimize, and prolong the fashion of, sensational plots.“ 331 De facto findet sich jedoch im<br />

relativ großen Bereich der sensational novels nur eine Frau, die eines Mordes fähig ist,<br />

nämlich Lady Audley in Mary Elizabeth Braddons Lady Audley’s Secret.<br />

Bei Conan Doyle muss man zwischen zwei Verbrecherinnen-Typen differenzieren: es gibt<br />

zwar einige wenige böse Verbrecherinnen, denen jedoch eine relativ große Gruppe von<br />

weiblichen Figuren gegenüber steht, die durch schreckliche Umstände dazu gezwungen<br />

wurden, ein Verbrechen zu begehen. Dies gilt aber moralisch letztlich nicht als verwerflich<br />

und wird darum auch von Holmes als moralischer Instanz nicht bestraft.<br />

330 Vgl. hierzu Altick, Richard D.: Victorian Studies in Scarlet. London 1972, S. 79.

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