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In der viktorianischen Literatur lässt sich häufig eine ähnliche Verwendung des Kontrasts<br />

zwischen Land und Stadt finden, in dem die Natur und das Landleben das Gute und die<br />

urbane Welt das Schlechte repräsentieren. Die Hauptfiguren von Romanen wie Hardys Jude<br />

the Obscure und The Mill on the Floss kehren nach Jahren in der Stadt aufs Land zurück, sind<br />

jedoch durch das moderne, städtische Leben, das sich in menschlicher Grausamkeit und<br />

Gleichgültigkeit manifestiert, korrumpiert und verdorben und können sich - im Sinne des<br />

biblischen Sündenfalls - nicht mehr in die paradiesische Unschuld des Landlebens<br />

zurückbegeben. „The return to Eden has become an impossibility [...]“. 407 Eine Synthese mit<br />

Land und Natur sind unmöglich geworden - Jude und Maggie Tulliver werden so zu Opfern<br />

der Stadt. 408<br />

Daneben lässt sich aber in der viktorianischen Literatur auch eine neue Betrachtungsweise des<br />

Landlebens und der Natur entdecken: Häufig ist das Landleben keinesfalls besser oder<br />

„reiner“ als das Stadtleben; auch hier verbergen sich menschliche Abgründe und Tragödien,<br />

auch hier herrscht oftmals das Böse. „The lush landscape in Tess of the D’Urbervilles or<br />

Adam Bede hides the same anxieties that growing men and women encounter in the city<br />

[...]“. 409 Den Protagonisten widerfährt in ihrem Leben auf dem Land eben die Schlechtigkeit,<br />

die ursprünglich für stadttypische Versuchungen und Sünden gestanden hat. 410 Nunmehr lässt<br />

sich häufig auch das Motiv „Nature as enemy“ 411 in der Literatur finden.<br />

De facto entsprach das Bild der unschuldigen, unberührten Natur auch keinesfalls der Realität.<br />

Im viktorianischen Zeitalter war das Elend auf dem Land nicht geringer als das in der Stadt:<br />

Armut und der tägliche Kampf ums Überleben zeichneten das Landleben aus. Denn mehr als<br />

die Hälfte des gesamten Landes in England und Wales gehörte weniger als 4200 reichen<br />

Landeigentümern. 412 Das in der Literatur häufig angeführte pittoreske Landleben entsprach<br />

nicht der Realität: Nur zu oft entstanden im Zuge der ländlichen Industrialisierung sogenannte<br />

„rural slums“ 413 , in denen die von den reichen Landeigentümern für ihre Mühlen und ihr Land<br />

angestellten Arbeiter lebten. In diesen Slums, in denen es nur wenig Platz und kaum sanitäre<br />

Anlagen gab 414 , herrschten nach Calder „[...] disease and desperate poverty“ 415 vor. Folgende<br />

407<br />

Knoepflmacher, „Novel“, S. 521.<br />

408<br />

Vgl. ibid., S. 522.<br />

409<br />

Ibid., S. 523.<br />

410<br />

Natürlich lassen sich auch schon in früheren Literaturepochen Gegenbeispiele für den Kontrast zwischen Stadt<br />

und Land entdecken. Grundsätzlich findet sich jedoch die oben aufgeführte Diskrepanz zwischen Stadt- und<br />

Landleben bestätigt.<br />

411<br />

Knoepflmacher, City, S. 523.<br />

412<br />

Hoppen, Mid-Victorian, S. 16.<br />

413<br />

Calder, Jenni: The Victorian Home. London 1977, S. 54.<br />

414 Ibid., S. 56.

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