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strukturierten Spielplan einen Raum, in dem dem Leser mit jeder Erzählung inhaltlich ein<br />

Problem in neuer Variation geboten wird.<br />

In Poes Erzählungen um den Detektiv Dupin wirken die Lösungen der tales of ratiocination in<br />

zwei Fällen auf den Leser sehr unglaubwürdig und wenig zufriedenstellend, wobei aber zu<br />

beachten ist, dass hier der Leser nicht als Gegenspieler erachtet wird. Ihm soll bei Poe<br />

vielmehr die Bedeutsamkeit der schöpferischen Einbildungskraft, der imagination,<br />

demonstriert werden. Da die Aufklärung des Rätsels bei Poe nur als pars pro toto eines<br />

kreativen Aktes der menschlichen Ratio anzusehen ist, dienen die Hinweise nicht dazu, dem<br />

Leser zur Lösung des Falles zu verhelfen, sondern werden häufig nur als unterstützende<br />

Elemente zur Betonung der geistigen Größe des Detektivs Dupin eingesetzt, der z.B. in<br />

„Marie Rôget” viele verschiedene Lösungsmöglichkeiten in der Phantasie durchspielt und<br />

dann fallen lässt. Aus diesem Grund werden dem Leser viele Hinweise gegeben, die ins Leere<br />

laufen, wie beispielsweise die Hinweise auf die brutale Verbrecherbande in „Marie Rôget“,<br />

und die letztlich kurzfristig verworfen werden. Im Gegensatz dazu steht bei Conan Doyle der<br />

spielerische Wettstreit im Mittelpunkt des Geschehens, weshalb der Autor zur<br />

Herausforderung des Lesers verschiedenste clues oder red herrings zur Irreführung in das<br />

Geschehen einbaut, die immer von Bedeutung sind. Auch wenn viele dieser Hinweise vom<br />

Leser nicht richtig gedeutet werden können, haben sie doch - anders als bei Poe - konkrete<br />

Funktionen; kein clue und kein red herring werden eingesetzt, ohne letztlich als spielerische<br />

Elemente von Bedeutung zu sein.<br />

Wie an diesen wenigen Beispielen zu erkennen ist, ist die Zielsetzung der beiden Autoren<br />

völlig unterschiedlich: Poe hat einen künstlerischen, ästhetischen Ansatz: in seinen<br />

Erzählungen geht es um die Kraft des menschlichen Verstandes, der alle Probleme<br />

überwinden kann. An die Stelle dieser psychologischen, die Ratio betonenden Geschichte um<br />

die Aufklärung von mysteriösen Ereignissen tritt bei Conan Doyle die reine<br />

Detektivgeschichte, in der die einzelnen Teile des Krimispieles weniger eine symbolische<br />

Funktion tragen, sondern einzig dazu dienen, in ihrer Zusammensetzung zur Verrätselung<br />

bzw. zur Aufklärung des Rätsels beizutragen. Conan Doyle hat dabei keinen künstlerischen<br />

Anspruch, bei ihm geht es vielmehr um den spielerischen Aspekt der Mystifizierung - nur<br />

durch Zusammensetzen der einzelnen Puzzleteile entsteht letztlich ein Bild des Ganzen. Als<br />

Unterschied bleibt festzuhalten: Poe komponiert, Conan Doyle konstruiert.

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