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28<br />

It is my design to render it manifest that no one point in its composition is referable either to accident or intuition<br />

- that the work proceeded, step by step, to its completion with the precision and rigid consequence of a<br />

mathematical problem. 96<br />

„Acumen“ - Scharfsinn - ist Poes Meinung nach die größte Tugend des Menschen, und er<br />

verlangt diese nicht nur von sich selbst, sondern auch von seinen Lesern, damit er sich mit<br />

ihnen in seinen Texten spielerisch auseinandersetzen kann. Dies wird besonders in Bezug auf<br />

seine Rätselgeschichten augenfällig. Kesting weist darauf hin, dass der Leser wie ein Detektiv<br />

besondere Dechiffrierkraft, Reflexion und Erkenntnisvermögen haben muss, um das Spiel des<br />

Autors mitspielen zu können. Nur dann kann er neben dem augenscheinlichen Verlauf der<br />

Handlung auch einen sogenannten under-current of meaning entdecken. 97 In diesem Prozess<br />

der Dechiffrierung spiegelt sich nach Kesting Poes Ästhetik der Wahrheitsfindung wieder, die<br />

den Leser als ganz substantiellen Part und Partner in seinem Text ansieht: So wie der Leser<br />

den vom Autor verschlüsselten Text dechiffriert, löst zeitgleich der Detektiv in der Handlung<br />

den Fall. Um diesen Zusammenhang zu unterstützen, führt Poe den namenlosen Erzähler ein,<br />

der in den Sherlock-Holmes-Geschichten Conan Doyles später zu Doktor Watson werden soll.<br />

Dieser Erzähler, der im Text als Assistent Dupins fungiert, ist eine Allegorie des von Poe<br />

imaginierten Lesers, ein Teilhaber in seinem Spiel oder „Geist vom Geiste des Dichters“ 98 .<br />

„Arm in arm“, so heißt es in „The Murders in the Rue Morgue“, schreitet dieser mit dem<br />

Detektiv –als Sinnbild für den Autor – durch die Geschichte, um durch Assoziation und<br />

Schlussfolgerungen die Dinge erkennen und lösen zu können. Dazu benötigt der Leser wie ein<br />

Spieler „constructive“ und „combining powers“, und Poe verlangt explizit von ihm, dass er<br />

neben mathematischem auch schöpferisches und assoziatives Denken besitzen müsse. 99 Poe<br />

selbst sah sich als Buchliebhaber und verarmten Aristokraten, der neben der Eigenschaft des<br />

hervorragenden Scharfsinns auch unvergleichliche Phantasie besitzt. Wie Dupin liebte es auch<br />

Poe, Paradoxa zu kreieren, zu belehren und aufzuzeigen, wie großes Wissen Probleme lösen<br />

kann. 100 Dupin kann somit als Projektion von Poes eigenem Ich angesehen werden: 101 Denn<br />

96<br />

Poe, E.A.: „The Philosophy of Composition.“. In: The Complete Tales and Poems of Edgar Allan Poe. New<br />

York 1989, S. 978-987. Hier: S. 979.<br />

97<br />

Vgl. Kesting, Marianne: „Auguste Dupin, der Wahrheitsfinder“. In: Poetica, 10, 1978, S. 53-65. Hier: S. 57.<br />

98<br />

Ibid.<br />

99<br />

Vgl. ibid., S. 63.<br />

100<br />

Vgl. dazu Knight, Form and Ideology, S. 50.<br />

101<br />

Matthews, Brander: „Edgar Allan Poe und die Detektivgeschichte“. In: Buchloh, Gerhard P./Becker, Jens-<br />

Peter (Hgg.): Der Detektiverzählung auf der Spur. Essays zur Form und Wertung der englischen<br />

Detektivliteratur. Darmstadt 1977, S. 41-58. Hier: S. 53.

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